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Zitat von: jes1909

Hallo Sabine,

jaa, so geht es mir auch. Der Mann der immer für alles da war und immer alles wusste und der immer einem mit Rat und Tat zur Seite stand ist nicht mehr da. Ich habe halt die Hoffnung, dass er wiederkommt. Aber ich weiß nicht, wie lange ich diese Hoffnung haben darf/kann?

Mein Papa hatte nie was. Einmal eine OP am Knie. Mal ein Schnupfen. Und dann bekomme ich am 28.3. diesen Anruf, dass er zusammengebrochen sei und der Notarzt alarmiert sei. Und dann der Tag am 29.3. im Stroke Unit, diesen Anblick vergesse ich mein Leben nicht.

Ich habe Angst vor der Zukunft, wie er wieder wird, wie meine Mom das alles schafft. Mein Dad ist seit November in Vorruhestand und sie wollten reisen und viel tun. Wobei sowohl meine Mom als auch mein Dad Sylt oder Bodensee für nächstes Jahr als Urlaub planen 🙂

Ich erwische mich ganz häufig dabei mich zu fragen, warum er ausgerechnet dran war. Ich laufe durch den Ort und sehe Leute die rauchen Kette, sind übergewichtig etc. Aber es ist jetzt so, ich kann es nicht rückgängig machen.

Ich möchte einfach, dass es ihm gut geht und er soweit fit wird, dass er seine Reisen noch machen kann!

Liebes jes,

ich will dir sofort antworten, weil ich mich gut in deine Lage hineinversetzen kann.

Unsere Tochter ist 24 und das absolute Papakind.  Er war ihr Fels in der Brandung bei allen Problemen, sei es mit dem Auto, Reparaturen in der Wohnung. einfach ein immer gesunder, geduldiger, hilfsbereiter Vater, der zu jeder Tages- und Nachtzeit - wenn ich schon lange meckerte - für sie bereit stand. Geschwister gibt es keine.

Im November 2010 hat mein Mann dann eine Aortendissektion erlitten, das heißt, seine Hauptschlagader hat sich aufgespalten vom Herzen bis ins Bein hinunter, ohne jegliche Vorwarnung.

Er wurde in einer 11-stündigen Not-OP gerettet, hat jedoch während dieser OP noch Schlaganfälle erlitten.

Er lag 3 Wochen im künstlichen Koma ohne eine Regung.  Unsere Tochter hat sich sofort krank schreiben lassen, weil zu Anfang niemand sagen konnte, ob er überlebt und wie lange.

Wir haben uns auf der Intensivstation abgewechselt, und sie war es dann auch, auf die mein Mann das erste Mal überhaupt eine Reaktion zeigte.

Sie hat mindestens 100 mal immer wieder den gleichen Satz gesagt : Papa, wenn du mich hörst, versuch, mir die Hand zu drücken.

Eines Tages hat es funktioniert. Er hat ihr spürbar und auch für mich sichtbar ihre Hand gedrückt. Von da an war das nächste Ziel, ihn dahin zu bringen, die Augen zu öffnen.

Nach 3 Wochen wurde er in die neurologische Reha gebracht, immer noch liegend, beatmet, künstlich ernährt, nicht wirklich unter den Lebenden.

Wir haben unserere Fotos an die Zimmerwand gepinnt, obwohl wir nicht wussten, wird er je wieder sehen und uns erkennen könnten.

Es war für uns ein einziger Albtraum. Ich wollte unsere Tochter immer wieder wegschicken, damit sie nicht so sehr unter der Situation leidet, aber sie war hartnäckig.

Und siehe da, als er irgendwann endlich von seiner künstlichen Beatmung abkam, war sein erstes Wort der Name seiner Tochter. Und danach kam immer wieder von ihm, sie solle sich keine Sorgen um ihn machen.

Mich hat er später immer wieder gefragt, ob es ihr gut geht.

Sie leidet heute noch sehr unter der ganzen Situation, macht sich - wie du um deine Mama - Sorgen um mich.

Auch bei uns war es so, dass unser Hobby gemeinsame Reisen, Fahrradtouren usw. waren.

Aber, und deshalb schreibe ich hier auch so ellenlang, man bekommt keine Antwort auf das Warum, wir müssen das Beste draus machen, und dein Papa wird sich auch seine Sorgen um euch machen, weil er euch im Moment nicht so unterstützen kann wie früher.

Die Sorge müsst ihr ihm nehmen, das hindert am Gesundwerden. Du musst versuchen, dein eigenes Leben weiterleben, jetzt ist erstmal deine Mama gefragt, und aus eigener Erfahrung weiß ich, dass man sich als Mutter noch 1000 Sorgen zusätzlich darüber macht, wenn es der Tochter auch schlecht geht.

Papa unterstützen, aufbauen, ihm ein bisschen das wiedergeben, was er bisher geleistet hat. Mehr geht nicht, und das wäre dann schon eine Menge. :)

Und vielleicht als Trost mitnehmen, dass es ganz viele Menschen gibt, die ohne Vorwarnung getroffen werden.

Alles Gute für euch !

 

 

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@Winterwunder:

vielen Dank für deinen Text. Ich bin mir ganz sicher, dass es mir nicht alleine so geht.

Wie geht es deinem Mann heute?

Ich bin auch wirklich der Meinung, dass das Väter/Töchter-Verhältnis doch ein anderes ist. Auf der Intensiv waren zu erst meine Brüder und meine Mutter, ich durfte als letztes in sein Zimmer (immer nur zwei Personen und die auch nicht länger als 10 Min). Ich war dann gemeinsam mit meinem älteren Bruder dort und als mein Papa mich gesehen hat fing er an zu weinen. Das war bei der Jungs wohl nicht so. Und das ist das, was mir jetzt noch (fast 10 Wochen danach) das Herz zerreisst.

Ich weiß auch, dass ich mein Leben habe und trotzdem will ich auch gerne meiner Mutter helfen, wenn sie Hilfe benötigt. Ich habe die ersten Tage (und das habe ich selbst gemerkt) mit meiner überbesorgten Art genervt.

Ich wohne nur wenige Meter von meinen Eltern entfernt und habe mit meinem Papa vereinbart, dass ich jeden Tag nach der Arbeit vorbei komme und ihn abhole. Dann gehen wir spazieren. Er geht am Stock und wenn es nicht mehr geht, habe ich den Rolli dabei, damit wir trotzdem noch eine kleine Runde drehen können. Gestern waren wir auch spazieren, davor haben wir "Mensch ärgere dich nicht" gespielt. So hat mein Papa Abwechslung und meine Mama kann sich mal ausruhen...

Wenn ich hier im Forum lese, denke ich fast, dass ich ein Egoist bin, weil es noch viel schlimmer hätte kommen können. Trotzdem ist mein Papa nicht mehr der, der er einmal war. Und in wie weit sich sein Zustand bessern wird, kann man ja leider nicht vorhersagen.

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