Weißt du, Sepp6, für einen vermutlich doch nicht mehr ganz jungen Mann bist du doch ein bemerkenswert eindimensionales und vor allen Dingen selbstfokussiertes und -gefälliges Geschöpf.
Die grundsätzliche Aussage, man müsse sich nur mal zusammenreißen und dann würde alles schon wieder klappen, so nach dem Motto "Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied" ist ja für Schlaganfallopfer nur sehr eingeschränkt gültig und sicher keine umfassende Weisheit, die Betroffenen mit schweren Krankheitsverläufen gerecht wird. Daß diese einfache Rechnung für dich aufgegangen ist, ist zu einem großen Teil Glücksache. wobei ich gerne zugestehen will, daß deine Fortschritte natürlich auch etwas mit deinem starken Willen zu tun haben werden. Aber eben auch mit der Ausgangsposition, der du dich nach deinem Vorfall stellen musstest.
Meine Freundin hatte vor jetzt ziemlich genau zwei Jahren im Alter von gerade mal 31 Jahren eine Hirnblutung, gefolgt von einem schweren Hirninfarkt. Als Folge davon leidet sie unter einer globalen Aphasie und einer rechtsseitigen Hemiparese.
Eines kann ich dir ganz sicher sagen: sie will nicht nur, sie WILLWILLWILL ihre Fähigkeiten zu sprechen und zu laufen und zu lesen und umfänglich zu leben zurückgewinnen, aber allein damit ist es eben nicht getan. Das Gehirn ist so stark geschädigt, daß der Genesungsprozess viele Jahre andauern wird und vielleicht sogar das ganze Leben von Therapien und immer wieder neuen Anstrengungen geprägt sein wird, Dinge zu lernen, die man zuvor wie selbstverständlich beherrscht hat. Und das kostet nicht nur ein paar Monate Kraft, das erfordert, den Willen zum Fortschritt über viele Jahre aufrecht zu erhalten. Es erfordert auch die Fähigkeit, in der Eingeschränktheit genügend Lebensfreude zu finden, um weitermachen zu können und zu wollen. Denn anders als bei dir wird es bei ihr vermutlich nie mehr genau oder zumindest sehr ähnlich wie früher sein.
Sie kann jetzt wieder ca. zweihundert Meter sehr langsam mit einer Krücke gehen, sich halbwegs selbstständig im Rollstuhl bewegen, sehr sehr viele Wörter sprechen (semantisch geht's noch nicht so gut) und auch sonst viel in Ihrem Alltag selbst bewältigen.
Aber ganz ohne Hilfe geht's eben noch nicht. Und ganz ohne Frust auch nicht.
Ich bin sehr froh, daß sich bis auf ein paar Arschgesichter alle unsere Freunde auch tasächlich als Freunde erwiesen haben, und uns nach wie vor einbeziehen, uns besuchen, gemeinsam etwas mit uns unternehmen und ihr immer das Gefühl geben, ganz selbstverständlich dazuzugehören. Vor kurzem waren wir sogar in der Live-Music-Hall in Köln beim Konzert - das hätte ich vor einem Jahr noch nicht für möglich gehalten.
Froh bin ich auch darüber, daß es dir anscheinend so schnell wieder sehr gut gegangen ist, in deiner scheinasketischen Ich-Welt wäre für einen hilfebedürftigen Kranken wohl auch kein Platz. Ich drücke die Daumen, daß das auch so bleibt.
Und wie man an meiner Kleinen sieht: das Gehirn ist das ganze Leben lang lernfähig. Vielleicht gilt das ja am Ende sogar für deins....
Grüße an alle!