Ich denke, dieser Trauerprozess zieht sich auch deshalb so lange hin, weil man ja im Grunde gar keinen Raum hat um ihn ordentlich durchleben zu können weil man sich ja immer wieder zusammenreißen muss (und sich dem nicht hingeben darf).
Über diesen Satz habe ich lange nachgedacht. Die Trauer hat keinen Raum, bedeutet auch: Sie ist nicht richtig greifbar, hat keine Konturen, keine Begrenzungen. Wenn der Partner stirbt, versteht jeder und weiß man selbst, worum man trauert.
Hallo Christine,
Bei mir war jahrelang die Angst so dominant, so dass die Trauer keinen Raum hatte - der zur Verfügung stehende Raum war einfach voll. Wir hatten aber auch, über mehr als 2 Jahre hinweg eine Komplikation nach der Anderen. Hinzu kam, dass meine Mutter bei der Rückkehr meines Mannes aus der Reha ebenfalls zum Pflegefall wurde (inkl. ausgeprägtem Delir, also im Grunde lange Zeit nicht zurechnungsfähig) und ich die einzige Angehörige war. Ich war also bis zum Anschlag ausgelastet. Wenn ich heute so zurück schaue, dann frage ich mich, wie ich das überhaupt überstanden habe und bin überrascht darüber, was ich dennoch noch in der Lage war zu leisten. Aber.. und das ist das große Aber ... man selbst, die eigenen Gefühle/Sehnsüchte/Träume/Wünsche bleiben auf der Strecke. Da ging es nur noch ums nackte Überleben 3er Menschen.
Klingt dramatisch? War es vermutlich damals auch. Aber welche Alternative gab es? Also Augen zu und durch.
Da, wie Du so gut beschreibst, der greifbare/körperliche Verlust nicht gegeben ist, muss man sich den Verlust erst einmal bewusst machen. Hinzu kommt, dass einiges auch erst erkannt werden muss. Ich glaube, ich habe Monate gebraucht um zu begreifen, dass sich mein Mann in Bezug auf Initiative und Ehrgeiz und Neugierde sehr verändert hat - und noch weitere Monate um einzusehen, dass dieser Mangel in diesem Bereich seine Fortschritte negativ beeinflussen wird - und noch einmal weitere Monate um zu akzeptieren, dass ich das nicht ausgleichen kann.
Das Problem ist, den Verlust mental erst einmal greifen zu können um dann irgendwann verstanden zu haben was das für das gemeinsame Leben bedeutet. Ich glaube, bei mir bekam die Trauer jedes Mal dann Raum, wenn bei mir wieder einmal eine Erkenntnis sackte: das ist nicht mehr möglich. Nicht, wenn Du es mit Deinem Mann verbindest - und das tue ich nach wie vor.
Man könnte ja sagen: "ja nun, stell' dich nicht so an. Du kannst doch alles auch alleine erleben. Dann reist Du z.B. eben alleine." Aber das ist ja nicht die Lösung denn der Traum lautete: "gemeinsam mit meinem Mann". Zumindest meine ich das aus Deiner Beschreibung heraus zu lesen und zumindest bei mir ist das so.
Mein Mann und ich habe z.B. regelmässig im Sommer Theateraufführungen einer sehr guten Laientheatergruppe besucht. Die Aufführungen finden im Wald statt was eine besondere Atmosphäre erzeugt. Der Weg dort hin ist für meinen Mann zu schwierig geworden, selbst der Toilettengang dürfte ein Problem werden selbst wenn ich mich mit einem Rollstuhl abmühen würde (den er eigentlich nicht benötigt). Wir haben das letzte Mal darauf verzichtet - und auch ich ... einfach weil ich keine Freude daran gehabt hätte alleine, ohne ihn, dort zu sitzen. Mir hätte das Gemeinsame gefehlt, der Blick zum Partner wenn etwas besonders gelungen ist und auch der Gedankenaustausch danach. Wir werden Ende des Jahres weiter weg ziehen. D.h, wir werden nie wieder gemeinsam dieses Erlebnis haben. So lächerlich das klingen mag - mich macht dieser Gedanke traurig.
Bei anderen Dingen stelle ich gerade fest, dass ich beginne Alternativen im Geiste zu entwickeln. Wir (eigentlich mehr ich) hatten den Traum mit meinem Renteneintritt eine Reise mit dem Postschiff zu machen um die Polarlichter einmal selbst zu sehen. Das war eines meiner wenigen Reiseziele (ich bin ansonsten nicht so versessen auf längere und weitere Reisen - mir ist meist kurz lieber). Und unsere geliebten Städte-Kurzreisen habe ich im Geiste auch gestrichen. Die könnten wir zwar irgendwie realisieren, aber das würde mir (vor allem für mich) zu anstrengend. Zumindest habe ich im Moment dafür noch keine Lösung die nicht mehr Rückenprobleme noch mehr steigern würden.
Was bei mir auch gebraucht hat um es bewusst zu machen: Ich werde nie wieder so unbeschwert sein können wie bisher. Die Leichtigkeit ist mir abhanden gekommen und wenn ich sie temporär einmal wieder spüre, dann erschrecke ich irgendwann darüber und der Gedanke "wie leichtsinnig" schwappt regelrecht hoch. Ja, ich trauere auch um mich - um den Menschen der ich früher war. Es ist nicht so, dass ich mich nicht leiden könnte - aber ein wenig hätte ich gerne mein leichtes Ich zurück.
Aber... nun kommt das Erfreuliche ist .. inzwischen entwickeln wir wieder neue Träume und Reiseziel. Der Mensch ist wohl erstaunlich zäh und flexibel.
Quasi einen Ersatz für die früher angedachten Ziele: Polarlichter, Wien, Budapest und Lissabon. Inzwischen informiere ich mich über Schiffsreisen. Ich weiß zwar nicht ob ich mir noch mal eine Anreise von 6 Std. mit dem Auto antun möchte, aber so eine Reise durch die Fjorde, die müsste auch für uns machbar sein wenn ich das Anreiseproblem gelöst habe. Ebenso könnte die Donauschifffahrt attraktiv sein.
Erfreulich ist das auch deshalb, weil wir endlich wieder beginnen zu leben und nicht nur zu überleben.
Angefangen damit (das Leben zu gestalten) haben wir, als wir beschlossen noch einmal (groß) umzuziehen. Da steckt für mich viel Aufwand dahinter und, ganz ehrlich, ich habe eine scheixx Angst vor dem was da auf mich zukommt. Mein Mann war Jäger und Sammler - das Haus ist voll bis unterm Dach. Und ich habe neuerdings echte Probleme mit einem Bein/Rücken, was natürlich das Entrümpeln zum Problem macht. Aber dennoch macht das alles lebendig. Das hat sogar meinen Mann wieder aktiver gemacht.
Wichtig war und ist für mich auch die Trauer an/auszusprechen. Wenn man etwas in Worte fasst, wird es greifbarer. Insofern tut mir der Gedankenaustausch darüber mit euch auch gut.