Hallo Christine,
Übrigens tut mir der Austausch hier gut.
Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Mich haben hier in meiner Anfangszeit einige Forenmitglieder ein Stück weit getragen. Im realen Leben gab es da niemanden. Man stellt einfach fest, dass man doch nicht völlig überzogen reagiert - ich glaube man braucht das auch .. dieses "spiegeln" um sich in der neuen Situation besser verorten zu können.
Danke, es freut mich, dass Du das so siehst. Dabei fühle ich mich oft noch völlig orientierungslos oder vielmehr fassungslos. Ich erwische mich immer wieder dabei, wie ich mir vorstelle, Ben und ich würden unsere Träume verwirklichen oder es würde zumindest so weiter gehen wie vor dem Schlaganfall. Beides wird nicht möglich sein, und wenn ich mir das bewusst mache, kommt ein tiefes Gefühl der Verzweiflung auf. Das ist wohl Teil des Trauerprozesses, den wir als Angehörige durchlaufen müssen.
Das Eine schließt das Andere nicht aus. Ich sagte ja auch nicht, dass Du Deinen Entwicklungsprozess abgeschlossen hast . Ich sagte: Du bist weiter. Und das bedeutet: du bist auf einem guten Weg.
Was die Trauer angeht. Ich trauere, fast 5 Jahre danach, immer noch. Stelle aber auch mit leichtem Erschrecken fest, dass die Erinnerung an meinen Mann sich immer mehr zu verflüchtigen scheint.
Ich denke, dieser Trauerprozess zieht sich auch deshalb so lange hin, weil man ja im Grunde gar keinen Raum hat um ihn ordentlich durchleben zu können weil man sich ja immer wieder zusammenreißen muss (und sich dem nicht hingeben darf). Alles braucht halt seine Zeit. Die Heilung bei unseren Angehörigen und die Trauer bei uns.
Also müsste ich doch rundum zufrieden sein, alles ist wieder gut ... Wenn ich versuche zu erklären, dass er auch mental nicht so ist wie früher und dass man ihn so wenig allein lassen könnte wie ein dreijähriges Kind, ernte ich nur Unverständnis. Solche Informationen sind unerwünscht, werden abgewehrt. Aus Desinteresse? Selbstschutz? Ich weiß es nicht.
Ich denke, es ist eine Mischung aus Selbstschutz und Angst und es sich einfach auch nicht vorstellen zu können. Wenn mir z.B. früher jemand erzählt hätte, dass ein Mensch nicht mehr weiß wie man sich die Nase putzt, dann hätte ich gesagt "erzähl' mir nichts vom Pferd". Das wäre unvorstellbar gewesen. Tatsache war, dass ich zu Hause davon überrascht wurde, dass das mein Mann tatsächlich nicht mehr konnte. Warum mir das in der Reha nicht aufgefallen ist - ich weiß es nicht. Ich war täglich dort - von morgens bis abends. Aber erst zu Hause stand ich vor dem Problem: wie bekommen wir die Nase sauber. Ich war damals so fassungslos - eigentlich absurd im Rückblick.
Was ich auch immer wieder erlebt habe war, dass man nicht begreifen konnte, dass mein Mann so langsam geworden war. Dass eben alles viel länger dauert. Dass ich eine andere Zeitrechnung habe als sie. Wer mit uns Kontakt hat muss sich zwangsläufig in Rücksicht üben und sich zurück nehmen können und wollen. Das bremst dann leider auch etwas den Spass.
Petra, Deine Situation stelle ich mir noch viel härter vor, weil die Kommunikation, die so wichtig ist, stark eingeschränkt ist. Und natürlich trauert man in einer solchen Lage, und die Trauer hört auch nicht einfach irgendwann auf. Ich empfinde diese Trauer schon jetzt als eine Art "Stachel im Fleisch", einen beständigen Schmerz, der nun zum Leben dazugehört.
Ich möchte das noch nicht einmal gewichten. Wenn ich etwas hier im Forum gelernt habe dann das, dass jede größere Einschränkung ihren eigenen Schrecken hat. Aber ja, fehlende Sprache, dann noch verbunden mit kognitiven Einschränkungen, das ist eine besondere Art des Schreckens. Bei uns fehlt das vermutlich sogar noch stärker ins Gewicht, weil wir vor dem Schlaganfall sehr viel kommuniziert haben. Wir waren kein stilles Ehepaar. Wir hatten uns täglich viel zu erzählen und legten Wert auf die Meinung und die Gedanken des Partners. Dennoch, je mehr ich höre, lese, sehe, umso mehr gewinne ich den Eindruck, dass wir "trotz alledem" eine Chance haben uns noch einmal ein zufriedenes Leben einrichten zu können. Viele andere haben oder hatten das nicht. Allerdings sah das anfangs nicht danach aus.
Dieser Satz macht mich mittlerweile aggressiv. Zum ersten Mal gehört habe ich ihn, als Ben auf der Intensivstation mit dem Tod rang. Klar, da mache ich dann natürlich erstmal eine Shoppingtour und gönne mir was Nettes und alles ist wieder gut. Genauso taktlos finde ich die Empfehlung, zum Therapeuten zu gehen, weil "Angehörige sich ja auch Hilfe suchen müssen".
Nicht nur Dich. Ich muss da sehr an mich halten und beiße mir oft genug auf die Zunge weil, wenn ich in dieser Situation dazu etwas sagen würde, danach kein Gras mehr wachsen würde. Verändert hätte ich damit auch nichts. Also nehme ich mich zurück.
Mich hat man zum Spaziergang eingeladen und fand es irritierend, dass ich lieber diese Zeit bei meinem Mann in der Klinik verbringen möchte. Als meine Mutter zudem noch zum Pflegefall wurde (vom Selbstversorger zu Pflegestufe 4 in Kombination mit einem Delir - und dann noch bösartig) habe ich tagsüber nur noch funktioniert und nachts stundenlang geweint. Ich konnte das nur unterbrechen wenn ich in Kontakt mit Menschen war. Jedenfalls hatte ich mich dann aufgerafft und begann die Therapeuten abzutelefonieren. Monatelange Wartenzeiten standen an und als mir dann eine (ältere) Therapeutin auch noch sagte: achsoooo, bei Ihnen ist das nur die Pflegesituation" (was es nicht war), da habe ich aufgehört die wenige Zeit die ich noch hatte in so etwas zu investieren und habe das lieber mit mir alleine klar gemacht.
Festgestellt habe ich, dass aber das was du beschreibst genauso in der Ausbildung den angehenden Therapeuten vermittelt wird. Das nennt sich dann "Angehörigenarbeit". Man kann es also den Therapeuten nicht einmal übel nehmen.
Ich unterstelle aufgrund eines Erlebnisses innerhalb der Familie meines Mannes, dass man diese Empfehlung ausspricht um sich die Trauer des Angehörigen nicht antun zu müssen und sich dennoch sagen zu können: ich habe unterstützt.
Böse?
Vielleicht. Ich fürchte aber, dass daran mehr als ein Körnchen Wahrheit dran ist. Ich z.B. hätte eigentlich nur ab und zu einen Menschen gebraucht der mich mal in den Arm nimmt.
Andererseits sage ich mir: was kann man von einer Gesellschaft erwarten die den Tod und die Trauer verdrängt? Wir haben das nicht gelernt.
ich z.B. muss von mir auch behaupten, dass ich mich aufgrund meiner Erfahrungen heute leichter tue auf Menschen zuzugehen. Ich frage mich heute viel seltener ob etwas angebracht ist. Als meine Mutter auf der Intensivstation lag musste ich davor längere Zeit warten. Neben mir sass eine ältere Frau die still vor sich hin weinte. Früher hätte ich dazu geschwiegen und nichts gesagt. In diesem Fall habe ich aber gefragt, wer von Ihren Angehörigen auf der Station liegt und sie hat erzählt. Ich glaube, sie war froh darüber von ihrem Mann, der da lag, erzählen zu können. Früher hätte ich mich das nicht getraut weil ich befürchtet hätte der Frau zu nahe zu treten.
Manchmal muss man eben auch erst etwas lernen.
Und noch etwas... ich habe den Eindruck, dass uns gerade in unserer Situation Zorn ab und zu auch gut tun kann.