Guten Abend Christoph,
sicher, die Auswirkungen eines Schlaganfalls sind vielfältig, wenn aber so absolut gar nichts mitgegeben wird, dann ist das eine Schande für eine Gesellschaft wie unsere. Vieles, sehr vieles habe ich selbst heraus finden müssen und so manches habe ich dann im Anschluss den Medizinern vermittelt - sofern sie mir über den Weg getraut haben. Ich habe und hatte häufig den Eindruck, dass mich viele von ihnen für eine Wichtigtuerin hielten und halten. Abgesehen davon, dass sie auch keine Ahnung zu haben scheinen was es bedeutet mit einem Aphasiker zusammenzuleben. Mein Hausarzt z.B. hatte z.B. unlängst Bedenken, dass mir langweilig werden könnte wenn ich Ende des Jahres in Rente gehe. Meinen hohen Blutdruck ordnet er nach wie vor meinem Übergewicht zu .. dass ich durch den Tag hetze kann er sich nicht vorstellen und dass der Blutdruck zumindest teilweise auch davon kommen kann - nämlich fast 5 Jahre lang non Stop Dauertempo - das existiert in seiner Vorstellung gar nicht.
Aber bei uns in der Ecke, wie in so vielen Gegenden Deutschlands, sieht es auch nicht all zu gut mit der medizinischen Versorgung aus. Da kann man keine Ansprüche an die Fähigkeiten und Kenntnisse eines Mediziners stellen.
Ich selbst fand unsere ersten Jahre deshalb besonders schwierig weil mein Mann nicht sprechen kann und damals noch weniger als heute und zudem damals immer wieder auch verwirrt war. Damit sind selbst so einfache Dinge wie z.B. Schmerzen nur sehr sehr schwierig abfragbar. Das kann sich niemand vorstellen wie das ist und vor allem was es für Auswirkungen auf den Alltag hat wenn ein Mensch eine schwere Aphasie hat. Will man mit diesem Menschen würdevoll umgehen, dann muss der Tag eigentlich 48 Std. haben und man benötigt Geduld und Durchhaltewille wie für 10 Kinder. Als Angehöriger lebt man zwangsläufig das Leben des Anderen zusätzlich. Man regelt alles, man versucht heraus zu finden was der Betroffene möchte, man versucht ihn zu fördern und zu fordern, man versucht ihn einzubinden und wieder ins Leben zu schieben. Ja schieben. Ganz ehrlich, ich hätte gar keine Zeit für viele Freundinnen, so wie das Deine Frau hat. Freundschaften wollen ja auch gepflegt werden. Abgesehen davon geht es mir wie Christine, ich weiß gar nicht was ich erzählen soll. Das was mich bewegt befremdet Nicht-Betroffene, so dass ich zwar zuhören, aber nichts mehr zur Unterhaltung beitragen kann.
Christine hat es treffend beschrieben. Man lebt auf einem anderen Planeten - Und das nicht nur im privaten Umfeld.
Bei uns sind alle Bekannten die in räumlicher Nähe leben weg gebrochen. Viele von Anfang an und die, die dann noch da waren als mein Mann aus der Reha entlassen wurde und ihn dann erlebten, die waren danach weg. Eine tauchte dann noch einmal nach einem Jahr auf, fand es aber wohl befremdlich das ich Rücksicht auf unser langsames Tempo erwartete - und seitdem war es das. Einer blieb als Telefonkontakt - den pflege ich jetzt weil man am Telefon eben sprechen können muss. Mein Mann und er sind lange Jahre einen gemeinsamen Weg gegangen - sie haben eine Verbindung die da ist und in der keine Erwartungen erfüllt werden müssen. Das war bei den Beiden aber schon vorher der Fall.
Lediglich einer der alten Kontakte meines Mannes hat uns beide überrascht. Zum ihm bestand am wenigsten Kontakt und vor allem auch eher etwas distanziert. Aber genau der meldet sich immer wieder und ist unproblematisch im Umgang und das obwohl er sehr viel um die Ohren hat. Wir sind uns näher gekommen als früher.
Und meine Kontakte? Tja... ich bin zu ernst geworden, nicht mehr unbeschwert genug. Meine Vorliebe für Situationskomik befremdet deutlich. Ich hatte allerdings auch vor dem Schlaganfall nur lose Kontakte. Dass es die nicht mehr gibt schmerzt weniger. Ich stelle eben nur fest, dass ich als Mensch da nicht mehr dazu passe.
Ich will aber nicht klagen, denn ich habe in diesen Jahren einige wenige Menschen kennengelernt mit denen ich einen Umgang pflegen kann der mir entspricht und der auch deutlich besser zu mir passt als der mit den Menschen vor dem Ereignis. Insofern eigentlich ein Gewinn den es nie gegeben hätte ohne das Ereignis. Ich trauere den alten Kontakten nicht hinterher - ich stelle nur fest. Anfangs sah das aber anders aus. In den ersten Jahren hätte ich dringend jemanden gebraucht der mir zumindest das Gefühl vermittelt im Notfall da zu sein.
Man verändert sich einfach und passt dann nicht mehr dazu. Bei mir haben die letzten Jahre Eigenschaften hervor gekitzelt die ich mir selbst nicht zugetraut hätte. Dennoch trauere ich auch um den Menschen der ich mal war.
Trauer ... niemand wundert sich darüber, wenn der Schlaganfallbetroffene trauert. Aber (fast) jeder ist überrascht, wenn das der Angehörige tut. Das läuft dann unter "Egoismus". Man ist kein "Gutmensch" wenn man trauert. Man muss doch dankbar sein, dass der Partner noch lebt.
Mir ist z.B. im Grunde meine ganze kleine Welt zusammengebrochen, denn mein Mann war meine Welt und ist es immer noch. Sicher, jeder von uns hatte seine Bereiche die er alleine hatte, aber wir erzählten uns davon. Vielleicht macht deutlich was ich meine, wenn ich die folgende kleine Begebenheit berichte:
Mein Mann war Lehrer. Nach seiner Pensionierung waren wir im Supermarkt einkaufen und trafen da auf eine ehemalige Schülerin von ihm. Die strahlte mich an und meinte, dass sie sich freuen würde mich endlich auch mal persönlich kennenzulernen. Innerlich wunderte ich mich darüber, denn welchen Schüler hat je die Ehefrau eines Lehrers interessiert? Ich bekam aber die Erklärung auch sofort nachgeliefert. Sie meinte: "wenn wir in der Schule diskutierten, dann hat ihr Mann so oft zu uns gesagt: das muss ich heute Abend meiner Frau erzählen. Ich bin gespannt was sie dazu sagt. "
Umgekehrt war das ähnlich. Der Partner war immer, auch wenn wir getrennt waren, irgendwie mit dabei.
Heute fehlt mir das so sehr. Diese sehr eingeschränkte Kommunikationsmöglichkeit bei der man auch noch Gefahr läuft von einem Missverständnis ins nächste zu stolpern ... die ist für mich schlimm. Richtig schlimm. Um den nicht mehr möglichen Gedankenaustausch trauere ich jeden Tag - seit fast 5 Jahren und diese Trauer lässt nicht nach. Aber sagen, sagen darf man das nicht weil man ja dankbar zu sein hat.
Das meinte ich mit: wir dürfen es nicht aussprechen und wenn wir es tun wird uns vermittelt, dass wir uns dafür schämen sollten.
Und ja, Du hast natürlich Recht: ausprechen zu dürfen was einen bedrückt ist wichtig. Und da habe ich Glück im Unglück... es gibt inzwischen neue Kontakte wo das möglich ist und wo ich mich auch traue meine "schwärzesten" Gedanken zu äussern und vor allem, wo ich den Eindruck habe, dass man mich mag so wie ich bin - genau so.
Wie sagt man so schön: Immer wenn Du denkst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.
Da ist etwas dran. So war das bei mir schon immer und es bewahrheitet sich auch in dieser Situation. Allerdings musste ich auf das Lichtlein etwas länger warten.
Mir ist es wichtig meine Gedanken, meine Sicht als Angehörige, meine Betroffenheit hier zu beschreiben. Über die Patienten schreibt man in vielen Foren sowieso. Angehörige fallen in der Regel hinten runter und werden allenfalls mit diesem (sorry) saudummen Satz "Sie müssen auch an sich denken" abgespeist. Dass wir handfeste Hilfe zum "an sich denken" benötigen würden, das blendet man lieber aus und wendet sich mit leichtem Gruseln ab.
Ich schreibe das hier, weil ich andere Angehörige ermuntern möchte zu ihren Gedanken zu stehen und sich nicht zu schämen. Das erleichtert auch schon vieles und vielleicht schafft es ja auch hier und da Bewusstsein.