#1

Christine

Koblenz, Deutschland

Hallo zusammen,

nun ist Ben schon einige Monate zuhause. Obwohl eigentlich alles gut geregelt ist und sich mehr oder weniger eingespielt hat, fühle ich mich im Dauerstress und kann keine Freude mehr empfinden.

Es hat vielleicht damit zu tun, dass ich unterschätzt habe, wie langsam es mit der Genesung vorangeht. In der Klinik ist man in einer sicheren, aber auch aus dem Alltag herausgehobenen Umgebung. Im Hintergrund war bei mir immer die Hoffnung, es könnte zuhause wieder teilweise wie früher werden. Und dann natürlich der Stress, weil immer etwas zu regeln ist, ich ständig irgendjemandem hinterhertelefoniere und mit den übertriebenen Erwartungen von Bens großem Freundeskreis konfrontiert bin. Da er prima reden kann, geistreich und schlagfertig ist, denken alle, es wäre so wie früher, und haben kein Verständnis dafür, dass ich nicht den ganzen Tag glücklich durch die Wohnung tanze. Sie sehen ja nicht, dass er im Alltag noch so hilflos ist und nichts für sich selbst regeln kann. Ja, ich bin unglaublich dankbar dafür, dass sich Ben entgegen aller Prognosen so gut entwickelt hat. Dennoch ist es nun ein sehr hartes Leben. Ich wäre so gerne mal wieder locker und entspannt, würde mich gerne mal wieder richtig freuen und lachen ... Es kommt mir vor, als hätte man mir die Fähigkeit, Freude zu empfinden, gestohlen ... Kennt ihr dieses Gefühl?

Und so oft kommen zurzeit alte Erinnerungen hoch, an tolle Reisen und entspannte Abende mit Ben. Oder spontane Restaurantbesuche, abends nach dem Essen noch in eine Bar gehen, Ausflüge machen etc. Wenn es überhaupt möglich ist, ist es ein Kraftakt. Ich habe so sehr das Gefühl, im falschen Leben zu sein. Als hätte man den Film unseres Lebens in der Mitte zerschnitten und eine falsche Fortsetzung daran geklebt. Ich wünschte, wir könnten aus all dem aussteigen ...

Nun habe ich genug gejammert, vielen Dank fürs Lesen und einen schönen Sonntag!

Christine

#2

Marganna

Rheinland, Deutschland

Ach liebe Christine, es tut mir so leid das lesen zu müssen, weil ich ja nur zu gut weiß, wie es ist, wie es sich anfühlt und wie es wohl leider zukünftig sein wird.

Aber auf jeden Fall etwas positives: Du wirst dich auch irgendwann wieder an Kleinigkeiten freuen können! Nur eben wird es nie mehr so, wie es war, es wird immer anders sein und einen trotz der großen Dankbarkeit darüber, dass der Partner überlebt hat, traurig und evtl. auch unglücklich zurück lassen. Das ist Teil des Schicksals und des Weges, den wir gehen müssen und der gewiss nicht leicht ist.

Ich wünsche dir, dass du gesund bleibst und nicht daran zerbrichst ✊🏻✊🏻✊🏻

Fühl dich gedrückt und ganz liebe Grüße 


Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal bearbeitet, zuletzt von »Marganna« (01.09.2024, 18:05)
#3

Christine

Koblenz, Deutschland

Liebe Marganna,

danke für Deine lieben Worte! Ich hoffe, dass die Traurigkeit irgendwann nachlässt. Du gehst diesen Weg schon länger als ich – hast Du für Dich Möglichkeiten gefunden, emotional ins Gleichgewicht zu kommen? 

 Wir als Angehörige müssen wohl erstmal den ganzen Prozess der Trauer durchlaufen, auch wenn der Partner überlebt hat. Weil das frühere Leben vorbei ist und der Partner zwar noch er selbst, aber nicht mehr derselbe ist. Mir macht es weniger zu schaffen, dass Ben motorische Einschränkungen hat, als sein Umgang damit. Seine Motivationslosigkeit, die ihn daran hindert, Fortschritte zu machen. Der Gedanke, dass er mit mehr Motivation schon viel weiter wäre, zerreißt mich manchmal. Er kann nichts dafür, die Motivationslosigkeit ist eine der durch den Schlaganfall verursachten Einschränkungen. Es ist bei ihm fast so, als würde ein Schalter umgelegt, sobald er etwas selbst erledigen soll. Dann blockt er ab, stellt sich ungeschickt an, fängt an, herumzudiskutieren. Das ist alles so zermürbend ... Naja, wir haben alle ganz unterschiedliche Päckchen zu tragen. 

Liebe Grüße
Christine

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