#51

Amsel

Main-Tauber-Kreis, Deutschland

 

Ja Angie, ähnliches habe ich erlebt als meine Mutter zusätzlich oben darauf pflegebedürftig wurde. Ich konnte sie zwar nicht auch noch pflegen - zumal sie, gelinde gesagt, sehr speziell war - aber ich habe mich gekümmert. Papierkram, Ärzte, Pflege organisiert, erst das Pflegeheim, später dann auf ihren Wunsch hin wieder die Pflege in der eigenen Wohnung, Wäsche usw. Nur eben nicht die körperliche Pflege. Ich war täglich bei ihr und trotzdem musste ich mir dann von "Kennern" der Situation sagen lassen: Kümmer' Dich mal um Deine Mutter. 

Ich habe damals rot gesehen - ich glaube ich habe in meinem ganzen Leben noch nie jemanden so runter geputzt. Meine Mutter war dabei, die durfte das mit "genießen".

Ich finde, Du bist noch seeeehr ruhig mit eurer Situation umgegangen. Verlierst Du nie die Fassung?

Was ich für mich tue?

Inzwischen wieder lesen. Lesen hat mich schon immer durch schlimme Phasen getragen. Aber das konnte ich am Anfang nicht mehr. Jetzt geht es wieder. Und ich habe die E-Book-Reader-Welt entdeckt. Da muss ich nicht jedes Mal in die Stadt um Nachschub zu bekommen und die Bücherei ist ja auch gut bestückt. 

Dann, seit meiner Rücken/Beinprobleme: Reha-Sport. Ich fand Sport eigentlich immer langweilig. Aber mit der Gruppe macht es wirklich Spass - auch wenn ich mir ab und zu vorkomme wie ein gestrandeter Walfisch 😉.

Und alle paar Monate einen Cafe-Besuch mit einer Frau die ich hier über das Forum kennengelernt habe und die mir wirklich ans Herz gewachsen ist. Diese (leider selten, weil wir beide wenig zeitlichen Spielraum haben) Auszeiten tuen mir immer gut.

Geplant ist aber mehr. Ich gehe ja Ende des Jahres in Rente und damit verbunden ist auch ein großer Umzug. Wieso/Weshalb ... dazu berichte ich später. 

 


Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal bearbeitet, zuletzt von »Amsel« (07.05.2024, 19:51)
#52

Angie

Untermettingen, Deutschland

Oja Amsel, lesen tu ich auch viel. Auch über Kindle, da gibt es viele Romane die kostenlos sind oder die ich irgendwann schon einmal gelesen habe. Es ist schön in diese Welt einzutauchen. Bibliotheken hier kosten 45 Euro im Jahr, plus 5 Euro für verspätete Rückgabe. Da habe ich für meine Kinder kostenlose Verträge gemacht, aber mit 12 ist das kostenpflichtig, da haben wir es ganz sein lassen. Die 45 Euro habe ich lieber für Restposten oder mangelhafte Bücher, die 1 Euro pro Stück kosten, ausgegeben.

Und ich verlier die Fassung, aber entweder bekommt es keiner mit, oder er bekommt es ab. Und zwar gehörig. Wenn es mich sehr belastet.

Da passt es vielleicht auch. Einer meiner Stiefsöhne hat als "Krankenschwester" gearbeitet. Er hat Drogen genommen, und zwar nicht zu knapp. Er ist erwischt worden, als er wieder Morphium im Krankenhaus mitnehmen wollte. Er sagte, dass es viele machen, weil der Tablettenverbrauch auf den Stationen nicht überwacht wird. Da könne man sich quasi selbst bedienen, an allen Drogen. Es war ein ganz schöner Schock. Er war meine Verbindung zu meinem Mann, er hat ihn bewegt, gewaschen, die Pampers gewechselt und alles gemacht, wofür auf der Intensivstation das Personal gefehlt hat. Ich durfte meinen Mann die 14 Tage nicht besuchen, er durfte sogar zu ihm rein. Dennoch war mir irgendwie unwohl. Ich habe jeden Tag trotzdem auf der Intensiv angerufen. Von 10-11 Uhr war der Arzt zu erreichen.

Mit dem Jungen habe ich viel mitgemacht. Er hat mich zum Einkaufen gefahren, sobald wir wieder zu Hause waren, mit den ganzen Einkäufen stehen lassen, da er schlafen musste. Er hat meinem Mann Drogen gegeben, als er auf der Station lag. Er hat behauptet, es würde ihm helfen, dabei hatte mein Mann eine massive Entzündung im Verdauungstrakt und es wurde 100% kontrolliert, was mein Mann zu sich nahm. Ich habe einen Bekannten gefragt, was das für Tabletten seien. Er hat meinen Verdacht bestätigt. Ich habe still gehalten, aus Dankbarkeit. Dann hat mich meine Tochter angerufen als ich grade eine Runde mit unserem Hund gelaufen bin. Sie war hysterisch, hatte wahnsinnig Angst, hat sich mit den anderen Mädels in ihrem Zimmer eingeschlossen. Die zwei Jungs prügeln sich, und es sei ihnen egal wer im Weg ist. Ich glaub so schnell war ich noch nie zu Hause. In dem Moment, wo ich vorne reingekommen bin, ist er vom Balkon gesprungen,1. OG. Und ich habe den Krankenwagen für meinen Sohn gerufen. Abends war er wieder da und ich habe ihm ganz ruhig erklärt, dass er es vergessen kann hier wieder reinzukommen. Schloß an der Tür war schon ausgewechselt. Daraufhin war er nur bei meinem Mann, wenn ich nicht da war. Wenn er mir auf dem Flur im Krankenhaus entgegen kam, hat er sofort umgedreht. Die drei Wochen, die mein Mann noch im Krankenhaus war, waren die Hölle. Mein Mann hat Tabletten nur genommen, wenn eine Schwester ihm gesagt hat, was es für Tabletten sind. Darauf habe ich bestanden, habe ihm aber nichts vom Zustand zu Hause erzählt.

Der Junge hat eine Entzugstherapie hinter sich und nimmt jetzt mehr Drogen wie zuvor.

Danke fürs lesen, das musste jetzt raus.

Christine, er hatte den Schlaganfall, als er aus dem Koma aufgeweckt wurde. Keime im Beatmungsschlauch haben dafür gesorgt. Er lag im Koma, weil er Corona hatte und nicht zum Arzt wollte. Auch oben genannter Sohn hat dauernd gesagt, er erholt sich wieder. Ich war anderer Meinung. Als er endlich zum Arzt ist, wusste ich, dass er ins Krankenhaus kommt.

Amsel, das "spezielle" kenne ich auch. Als mein Mann aufgewacht ist, war er etwa 14 Tage bösartig bis ihm endlich klar wurde warum und weshalb er ans Bett gefesselt ist. Was sich die Schwestern von ihm anhören mussten will ich gar nicht wissen.

Ich mag mir gar nicht vorstellen was du alles mit deiner Mutter durchgemacht hast. Es tut weh, wenn sie so sind. Meine Mutter war bösartig aus anderen Gründen.

Dieses "Sei froh" ist, denke ich, weil sie sich dann nicht damit befassen müssen. Es ist alles wieder gut, reden wir über was anderes.....

Wie ein gestrandeter Walfisch ist gut gesagt. Ich habe an einem Kurs teilgenommen, der, glaube ich, nur für Jüngere und Schlankere gedacht war. Aber sie waren echt nett, auch die Therapeutin, die den Kurs geleitet hat.


Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal bearbeitet, zuletzt von »Angie« (08.05.2024, 10:24)
#53

Amsel

Main-Tauber-Kreis, Deutschland

 

Danke fürs lesen, das musste jetzt raus.

Angie

Hallo Angie,

oha, Du hast auch ohne Schlaganfälle ein ausreichend dickes Paket zu tragen. Und ja, das sollte auch raus. Andernfalls erstickt man irgend wann einmal daran. Reden/Schreiben entlastet. 

Wie steht denn Dein Mann zu seinem suchtkranken Sohn?

Bei meinem Mann ging das "spezielle" nach dem schweren epileptischen Anfall weg. Er ist zwar nach wie vor in Bezug auf Motivation und Initiative noch nicht einmal mehr halb der Alte, aber zumindest bösartig ist er nicht mehr. Im Gegenteil.

Und meine Mutter, die war schon vorher sehr speziell, bzw. das schwankte zwischen zuckersüss/überliebevoll und gehässig/neidisch/bösartig .. und später wurde sie dann noch ordinär in ihren Beschimpfungen ach.. und Ohrfeigen bekam ich auch angedroht. Eine endlose Geschichte - sie hat das durchgezogen bis zu ihrem Ende.

Aber ganz ehrlich, wenn ich das lese was Du durchmachen musstest und im Grunde immer noch musst, dann doch lieber eine Mutter die meint handgreiflich werden zu dürfen.

Aber ja, es tut weh. Ich habe es dann nur deshalb durchgehalten, weil ich mir gesagt habe, ich hätte ihn ihren gesunden Zeiten konsequent sein müssen und da war ich zu feige und irgendwann zu inkonsequent. Jetzt auf ihren letzten Metern habe ich es dann doch nicht übers Herz gebracht. Aber weh tat das. Oh ja und manchmal, wenn ich mir etwas längere Gedanken dazu erlaube, dann schmerzt das heute noch. Oder vielmehr... so langsam kommt der Zorn und ich schüttle auch etwas über mich selbst den Kopf. 

Falls Du noch mal so einen Reha-Kurs verordnet bekommst: bei uns gibt es auch Kurse nur für Ältere. Die sind dann meist vormittags. Einfach bei den Anbietern danach fragen. Mir tut er jedenfalls gut, nicht nur körperlich.

Was das Lesen angeht: ich leihe mir aus Zeitgründen in der Bücherei die Bücher, Zeitungen, Zeitschriften nur online. Ich käme gar nicht dazu Bücher abzuholen. Aber das Onlineangebot ist super und dass man auch Zeitschriften/Zeitungen ausleihen kann finde ich auch prima. Die lese ich dann allerdings lieber am Tablet oder dem normalen PC (weil bunt und in Farbe 😉 )

Ach so...

Hier findest Du die Leih-Büchereien die daran teilnehmen. Vermutlich ist da auch eine in Deiner Nähe dabei

Deine Onleihe finden | ekz

Dann dort einfach mal auf der Homepage nachschauen wie hoch die Gebühren sind. Die Bücherei kann ja problemlos weiter weg sein weil man, sofern man nur online ausleihen möchte, max. 1x im Jahr hin muss. Zumindest dann, wenn die auch so schräg drauf sind wie unsere und keine Überweisungen sondern nur in Bargeld die Jahresgebühren akzeptieren.

Da müsste doch eigentlich eine passende für Dich dabei sein, oder?

die Onleihe Dreiländereck. Mein Konto : Anmeldung : Bibliothekauswahl

die greifen alle auf diese Onleihe zu:

die Onleihe Dreiländereck. Startseite 

Die Jahresgebühr für einen Bibliotheksausweis beträgt für Erwachsene ab 18 Jahre 24,- € Die Gebühr wird per SEPA-Einzugsverfahren bezahlt.

gefunden hier: Registrierung_Bibliotheksausweis_NEU.pdf (waldshut-tiengen.de)

 

 

#54

Christine

Koblenz, Deutschland

 


Dein (genervter?/verzweifelter?/flehender?) "Hilferuf": "Manchmal wünsche ich mir, dass jemand einfach mal zuhört und sich auf das Gehörte einlässt …". Ich fürchte, wir alle kennen das Problem. Ich habe keinen Rat, ausser das bereits Erwähnte wie Selbsthilfegruppen, Psychologen, Foren und so weiter. Vielleicht kann Dir ein/eine Therapeut/In in der Reha einen Tipp geben? Ich habe selber eine Handvoll Bekanntschaften von neurologisch Erkrankten, die ähnlichen Kummer und Probleme haben, wie ich. Mit ihnen kann ich mich ein wenig austauschen, ohne Hemmungen und ohne schiefe Blicke; immerhin das, das tut gut. Mit unseren Leuten die behinderte Angehörige haben, gab es nie Probleme.

 

Hallo Christoph,

"genervter Hilferuf" trifft es ganz gut, weil fehlendes Zuhören und Unverständnis in vielen Alltagssituationen zu Problemen oder Problemchen führen. Ein Beispiel: Seit man Ben für ein paar Stunden aus der Reha entführen und mit ihm essen gehen kann, hat sich folgender Gesprächsablauf immer wieder wiederholt:

Freund von Ben, am Telefon: "Wir holen dich dann um 12 Uhr ab. Wir können erst ins Restaurant und dann ein bisschen spazieren gehen. Müssen wir den Rollstuhl mitnehmen?"
Ben: "Nein, ich gehe überallhin zu Fuß."
Freund von Ben: "Treppen steigen kannst du auch?"
Ben: "Klar, das übe ich jeden Tag."
Ich (im Hintergrund): seufz.

Ich gehe aus dem Zimmer, rufe den Freund an: "Hör mal, Ben kann seine Fähigkeiten noch nicht richtig einschätzen. So weit ist er noch nicht, er braucht den Rollstuhl."
Freund von Ben: "Ja, wie, er hat doch gesagt, er kann das!"

Ich: [Erklärung zu Bens Gehfähigkeit und der Tendenz von manchen Schlaganfallpatienten, sich manchmal zu überschätzen]

Das Ende vom Lied: Freunde kommen mit vollgeladenem Kofferraum.
Freunde: "Den Rollstuhl braucht er doch nicht."
Ich: "Der Rollstuhl kommt mit!"

Also große Ausräumaktion, ungeduldiger Ben, der den Rollstuhl nicht mitnehmen will, genervte Freunde, die denken, ich traue ihm nichts zu. Dass sie ohne Rollstuhl mit Ben nicht weit gekommen wären, wissen sie natürlich nicht ...

Ich frage mich dann immer, warum glaubt mir niemand, obwohl ich Ben doch am besten kenne. Ich vermute, es ist für viele schwer zu begreifen, dass Schlaganfälle nicht nur sichtbare Einschränkungen wie Lähmungen hervorrufen, sondern auch unsichtbare, wie kognitive Probleme oder Persönlicheitsveränderungen.

Liebe Grüße
Christine

#55

Christine

Koblenz, Deutschland

Hallo Amsel,

Ich denke, dieser Trauerprozess zieht sich auch deshalb so lange hin, weil man ja im Grunde gar keinen Raum hat um ihn ordentlich durchleben zu können weil man sich ja immer wieder zusammenreißen muss (und sich dem nicht hingeben darf).

Über diesen Satz habe ich lange nachgedacht. Die Trauer hat keinen Raum, bedeutet auch: Sie ist nicht richtig greifbar, hat keine Konturen, keine Begrenzungen. Wenn der Partner stirbt, versteht jeder und weiß man selbst, worum man trauert. Wenn der Partner nach einem Schlaganfall schwere Einschränkungen hat, hält man sich vielleicht erstmal daran fest, dass noch viele Fortschritte kommen können. Und das Umfeld erwartet sowieso, dass man optimistisch ist, weil er überlebt hat, und die zusätzlichen Belastungen ohne zu klagen trägt. Nach und nach kommt aber ein Schmerz, ein schleichender, nagender Schmerz. Weil der Partner nicht mehr derselbe ist. Weil er nun jemand ist, der umsorgt wird und der nicht mehr umsorgen kann. Weil das Verhältnis von Geben und Nehmen sich so sehr verschoben hat. Und letztlich: weil Lebensträume zerstört sind. Ben und ich sind noch relativ jung, wir wollten noch einige Jahre arbeiten und sparen, dann hätten wir genug gehabt, um weniger zu arbeiten und zu reisen. Wir wollten vielleicht auswandern. Wir wollten die Polarlichter sehen. Naja, letzteres lässt sich vielleicht irgendwann verwirklichen ... Aber es ist einfach ein schleichender Abschied von den eigenen Träumen und dem Leben, das man führen wollte.

Liebe Grüße
Christine


Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal bearbeitet, zuletzt von »Christine« (Heute, 12:08)
#56

Marganna

Rheinland, Deutschland

Liebe Christine,

ich wollte dir schon so oft antworten, aber irgendwie hat mir immer die Energie gefehlt. Aber jetzt: Alles was du schreibst trifft es sehr genau. Die Selbstüberschätzung des Betroffenen, das blanke Unverständnis des Umfeldes (er ist doch wie früher etc.) Nein! Er ist nicht wie früher. Alles was Außenstehende sehen ist eine Momentaufnahme und nicht das, was wir Angehörige 24/7 erleben. Mein Mann neigt auch dazu sich immer so darzustellen, als wäre alles kein Problem. Doch, es ist ein Problem und nicht nur eins. Auch wenn mein Mann sich glücklicherweise wieder gut erholt hat von seinem wirklich schweren Schlaganfall ist nichts mehr wie es war und wird es auch nie mehr werden. Wir sind auch noch "relativ jung" aber mir hat dieses Trauma leider körperlich und seelisch ebenfalls sehr zugesetzt so dass wir nun beide mehr oder weniger recht krank sind. Zu allem kommt auch noch der Empathieverlust, den mein Mann dadurch erlitten hat. Einfach ist es nicht und manches Mal bin ich so neidisch auf andere Menschen - geht euch das auch so? Obwohl man das ja eigentlich gar nicht sein oder sagen darf (liebe Grüße an Amsel an der Stelle die es immer so treffend beschreibt und in deren Situation ich mich auch oft wiederfinde).

Es wird sicher bei euch auch noch einiges besser werden, aber es wird anders. Nicht daran zu zerbrechen ist eine Kunst, von der ich wohl recht weit entfernt bin.

Liebe Grüße 

Marganna

 

#57

Angie

Untermettingen, Deutschland

Nicht daran zu zerbrechen ist eine Kunst, von der ich wohl recht weit entfernt bin.

Liebe Grüße 

Marganna

 

 Ganz ehrlich? Ich glaube jeder hier ist davon recht weit entfernt. Mir muss mal jemand zeigen wie die Kunst funktioniert.

Habt ihr sie schon mal auflaufen lassen? Den Rollstuhl eben nicht mitgenommen/mitgegeben? Er hat ja gesagt er kann ohne....

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