#61

Amsel

Main-Tauber-Kreis, Deutschland

Hallo Amsel,

Ich denke, dieser Trauerprozess zieht sich auch deshalb so lange hin, weil man ja im Grunde gar keinen Raum hat um ihn ordentlich durchleben zu können weil man sich ja immer wieder zusammenreißen muss (und sich dem nicht hingeben darf).

Über diesen Satz habe ich lange nachgedacht. Die Trauer hat keinen Raum, bedeutet auch: Sie ist nicht richtig greifbar, hat keine Konturen, keine Begrenzungen. Wenn der Partner stirbt, versteht jeder und weiß man selbst, worum man trauert. 

Hallo Christine,

Bei mir war jahrelang die Angst so dominant, so dass die Trauer keinen Raum hatte - der zur Verfügung stehende Raum war einfach voll. Wir hatten aber auch, über mehr als 2 Jahre hinweg eine Komplikation nach der Anderen. Hinzu kam, dass meine Mutter bei der Rückkehr meines Mannes aus der Reha ebenfalls zum Pflegefall wurde (inkl. ausgeprägtem Delir, also im Grunde lange Zeit nicht zurechnungsfähig) und ich die einzige Angehörige war. Ich war also bis zum Anschlag ausgelastet. Wenn ich heute so zurück schaue, dann frage ich mich, wie ich das überhaupt überstanden habe und bin überrascht darüber, was ich dennoch noch in der Lage war zu leisten. Aber.. und das ist das große Aber ... man selbst, die eigenen Gefühle/Sehnsüchte/Träume/Wünsche bleiben auf der Strecke. Da ging es nur noch ums nackte Überleben 3er Menschen.

Klingt dramatisch? War es vermutlich damals auch. Aber welche Alternative gab es? Also Augen zu und durch.

Da, wie Du so gut beschreibst, der greifbare/körperliche Verlust nicht gegeben ist, muss man sich den Verlust erst einmal bewusst machen. Hinzu kommt, dass einiges auch erst erkannt werden muss. Ich glaube, ich habe Monate gebraucht um zu begreifen, dass sich mein Mann in Bezug auf Initiative und Ehrgeiz und Neugierde sehr verändert hat - und noch weitere Monate um einzusehen, dass dieser Mangel in diesem Bereich seine Fortschritte negativ beeinflussen wird - und noch einmal weitere Monate um zu akzeptieren, dass ich das nicht ausgleichen kann. 

Das Problem ist, den Verlust mental erst einmal greifen zu können um dann irgendwann verstanden zu haben was das für das gemeinsame Leben bedeutet. Ich glaube, bei mir bekam die Trauer jedes Mal dann Raum, wenn bei mir wieder einmal eine Erkenntnis sackte: das ist nicht mehr möglich. Nicht, wenn Du es mit Deinem Mann verbindest - und das tue ich nach wie vor.

Man könnte ja sagen: "ja nun, stell' dich nicht so an. Du kannst doch alles auch alleine erleben. Dann reist Du z.B. eben alleine." Aber das ist ja nicht die Lösung denn der Traum lautete: "gemeinsam mit meinem Mann". Zumindest meine ich das aus Deiner Beschreibung heraus zu lesen und zumindest bei mir ist das so. 

Mein Mann und ich habe z.B. regelmässig im Sommer Theateraufführungen einer sehr guten Laientheatergruppe besucht. Die Aufführungen finden im Wald statt was eine besondere Atmosphäre erzeugt. Der Weg dort hin ist für meinen Mann zu schwierig geworden, selbst der Toilettengang dürfte ein Problem werden selbst wenn ich mich mit einem Rollstuhl abmühen würde (den er eigentlich nicht benötigt). Wir haben das letzte Mal darauf verzichtet - und auch ich ... einfach weil ich keine Freude daran gehabt hätte alleine, ohne ihn, dort zu sitzen. Mir hätte das Gemeinsame gefehlt, der Blick zum Partner wenn etwas besonders gelungen ist und auch der Gedankenaustausch danach. Wir werden Ende des Jahres weiter weg ziehen. D.h, wir werden nie wieder gemeinsam dieses Erlebnis haben. So lächerlich das klingen mag - mich macht dieser Gedanke traurig.

Bei anderen Dingen stelle ich gerade fest, dass ich beginne Alternativen im Geiste zu entwickeln. Wir (eigentlich mehr ich) hatten den Traum mit meinem Renteneintritt eine Reise mit dem Postschiff zu machen um die Polarlichter einmal selbst zu sehen. Das war eines meiner wenigen Reiseziele (ich bin ansonsten nicht so versessen auf längere und weitere Reisen - mir ist meist kurz lieber). Und unsere geliebten Städte-Kurzreisen habe ich im Geiste auch gestrichen. Die könnten wir zwar irgendwie realisieren, aber das würde mir (vor allem für mich) zu anstrengend. Zumindest habe ich im Moment dafür noch keine Lösung die nicht mehr Rückenprobleme noch mehr steigern würden. 

Was bei mir auch gebraucht hat um es bewusst zu machen: Ich werde nie wieder so unbeschwert sein können wie bisher. Die Leichtigkeit ist mir abhanden gekommen und wenn ich sie temporär einmal wieder spüre, dann erschrecke ich irgendwann darüber und der Gedanke "wie leichtsinnig" schwappt regelrecht hoch. Ja, ich trauere auch um mich - um den Menschen der ich früher war. Es ist nicht so, dass ich mich nicht leiden könnte - aber ein wenig hätte ich gerne mein leichtes Ich zurück. 

Aber... nun kommt das Erfreuliche ist .. inzwischen entwickeln wir wieder neue Träume und Reiseziel. Der Mensch ist wohl erstaunlich zäh und flexibel.

Quasi einen Ersatz für die früher angedachten Ziele: Polarlichter, Wien, Budapest und Lissabon. Inzwischen informiere ich mich über Schiffsreisen. Ich weiß zwar nicht ob ich mir noch mal eine Anreise von 6 Std. mit dem Auto antun möchte, aber so eine Reise durch die Fjorde, die müsste auch für uns machbar sein wenn ich das Anreiseproblem gelöst habe. Ebenso könnte die Donauschifffahrt attraktiv sein.

Erfreulich ist das auch deshalb, weil wir endlich wieder beginnen zu leben und nicht nur zu überleben. 

Angefangen damit (das Leben zu gestalten) haben wir, als wir beschlossen noch einmal (groß) umzuziehen. Da steckt für mich viel Aufwand dahinter und, ganz ehrlich, ich habe eine scheixx Angst vor dem was da auf mich zukommt. Mein Mann war Jäger und Sammler - das Haus ist voll bis unterm Dach. Und ich habe neuerdings echte Probleme mit einem Bein/Rücken, was natürlich das Entrümpeln zum Problem macht. Aber dennoch macht das alles lebendig. Das hat sogar meinen Mann wieder aktiver gemacht. 

Wichtig war und ist für mich auch die Trauer an/auszusprechen. Wenn man etwas in Worte fasst, wird es greifbarer. Insofern tut mir der Gedankenaustausch darüber mit euch auch gut.

 

#62

Amsel

Main-Tauber-Kreis, Deutschland

Einfach ist es nicht und manches Mal bin ich so neidisch auf andere Menschen - geht euch das auch so? Obwohl man das ja eigentlich gar nicht sein oder sagen darf (liebe Grüße an Amsel an der Stelle die es immer so treffend beschreibt und in deren Situation ich mich auch oft wiederfinde).

Es wird sicher bei euch auch noch einiges besser werden, aber es wird anders. Nicht daran zu zerbrechen ist eine Kunst, von der ich wohl recht weit entfernt bin.

Liebe Grüße 

Marganna

 

Liebe Marganna,

Neid im Sinne von "nicht gönnen können" st es nicht was ich empfinde, aber Trauer.

Vor 2 Jahren hat uns ein Freund meines Mannes Fotos von deren Wienreise gesendet. Wie man das halt so tut wenn man verreist ist und Freunde daran teilhaben lassen möchte. Dieser Freund wohnt weiter weg, hat meinen Mann seit seinem Schlaganfall nicht gesehen, hält aber Kontakt via Telefon.

Ich habe damals geschluckt als ich diese Fotos gesehen habe und gedacht: und das wolltest Du mit Deinem Mann auch noch tun. Dahin wolltest Du und, ach was hätten wir alles besichtigen und kulinarisch genießen wollen.

Ich dachte auch: ist diesem Freund gar nicht bewusst, dass uns das weh tun könnte? (vermutlich war ihm das wirklich nicht bewusst, er ist nämlich wirklich ein lieber und freundlicher Mensch)

ich sass damals da mit Tränen in den Augen und habe mich dafür geschämt.

Heute hat dieser Freund Parkinson und er ist motorisch stärker eingeschränkt als mein Mann. Wien war seine vorletzte Reise. 

Und nun sitze ich hier und denke: und damals warst Du traurig darüber, dass wir das nicht mehr angehen können. Dabei haben wir zumindest die Chance der Verbesserung. Dieser Freund jedoch nicht.

Marganna, gib nicht die Hoffnung auf, dass sich die Empathie bei Deinem Mann zumindest etwas wieder entwickeln kann. Bei meinem Mann wird es in kleinen Schritten besser - ich konfrontiere ihn allerdings auch mit seinem Tun oder Nicht-Tun - und ich spiegle ihm was es im Umkehrschluss bedeutet. 

Außerdem spreche ich mit ihm über Gefühle und körperliche Nähe (in den Arm nehmen - und was das bewirkt). D.h. ich gebe ihm aber auch das Gefühl, dass er mir etwas Gutes tut, wenn er mich in den Arm nimmt wenn ich weine. Inzwischen kommt er manchmal selbst auf den Gedanken und er reicht mir dann sogar das Taschentuch oder wischt Tränen ab. Nicht immer - aber immerhin. 

Dran bleiben, denn wir wissen beide nicht was da nicht funktioniert. Die Wahrnehmung oder das Wissen wie man darauf angemessen reagieren kann.

 

#63

Christine

Koblenz, Deutschland

 

Hallo Amsel,

das, was Du beschreibst, erlebe ich ganz ähnlich: dieser Gedanke "Das ist nicht mehr möglich", der nach und nach abgelöst wird von der Hoffnung, dass dieses und jenes unter bestimmten Bedingungen doch möglich ist. Man entwickelt irgendwann neue Träume und Reiseziele, nur eben verbunden mit einem großen "Aber": Du kannst irgendwann wieder mit ihm reisen, aber du musst alles selbst in die Hand nehmen. Dennoch, mir geht es da wie Dir: Ich will manche Dinge nur mit Ben unternehmen und mit sonst niemandem und schon gar nicht allein.

Mich beschäftigt im Moment, wie sehr sich unsere Beziehung verändert hat. Früher habe ich uns alles zugetraut, weil wir unterschiedliche Stärken hatten und einer von beiden immer eine Lösung gefunden hat. Wenn einer sich schwach gefühlt hat, konnte der andere ihn unterstützen. Ben war jemand, der im guten Sinne Führung übernehmen konnte, er konnte planen und andere motivieren und war derjenige, der in schwierigen Situationen die Initiative ergriffen hat. Er hat gerne Entscheidungen getroffen. Gerade in diesem Punkt hat er sich verändert. Er will, dass andere alles für ihn entscheiden. Natürlich auch deshalb, weil ihn im Moment alles überfordert. Es ist deshalb für mich schwer, herauszufinden, was er wirklich will und was das Beste für ihn wäre. Es geht dabei schon um Kleinigkeiten, zum Beispiel, was er sich vom Mittagsbuffet nehmen soll etc.

Ich merke auch, wie sehr sich unsere Liebe verändert. Sie ist nicht kleiner geworden, im Gegenteil, aber anders. Auch früher war es für uns beide wichtig, sehr viel Zeit miteinander zu verbringen. Ben hat mir seine Liebe durch Taten gezeigt, aber selten über seine Gefühle gesprochen. Nun sagt er mir unentwegt, wie lieb er mich hat, und er vermisst mich schon, wenn ich ein paar Stunden nicht da bin. Meine Gefühle verändern sich: Es verschiebt sich in Richtung "mütterliche Liebe", verbunden mit einem starken Beschützerinstinkt und sehr viel Duldsamkeit.

Und unsere geliebten Städte-Kurzreisen habe ich im Geiste auch gestrichen.

Ich denke wie Du manchmal über Schiffsreisen nach, die wir vielleicht in ein paar Jahren unternehmen können. Städte-Touren wird es sicher für uns auch nicht mehr geben. Bei einem unserer ersten Ausflüge vor ein paar Monaten musste ich Ben im Rollstuhl über Kopfsteinpflaster schieben, und das mit leichter Steigung – einmal und nie wieder! Ben war ein großer Fan von Städtetouren und hat mich manchmal von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten gejagt. Ich zumindest bedauere es nicht so sehr, dass das wegfällt, denn im Urlaub will ich vor allem Meer, Strand und gutes Essen 😉

Was bei mir auch gebraucht hat um es bewusst zu machen: Ich werde nie wieder so unbeschwert sein können wie bisher. Die Leichtigkeit ist mir abhanden gekommen und wenn ich sie temporär einmal wieder spüre, dann erschrecke ich irgendwann darüber und der Gedanke "wie leichtsinnig" schwappt regelrecht hoch. Ja, ich trauere auch um mich - um den Menschen der ich früher war. Es ist nicht so, dass ich mich nicht leiden könnte - aber ein wenig hätte ich gerne mein leichtes Ich zurück. 

Bei uns ist es ja noch nicht so lange her wie bei euch, aber ich habe ähnliche Gedanken. Vor allem morgens beim Aufwachen, wenn ich vielleicht von früher geträumt habe und mir in den Sinn kommt, dass es nie wieder so sein wird. Dann möchte ich in die Traumwelt zurück und halte das wache Leben für einen Albtraum. Ich habe das Vertrauen in das Leben verloren. Wir hatten vorher wunderbare, unbeschwerte Jahre, und manchmal denke ich, dass wir jetzt den Preis dafür bezahlen müssen. Als würde im Leben jedes Glück durch Unglück vergolten. Deshalb habe ich auch Angst davor, mich irgendwann wieder unbeschwert und leicht zu fühlen ... Das sind vielleicht absurde Gedanken, aber so fühle ich mich.

Angefangen damit (das Leben zu gestalten) haben wir, als wir beschlossen noch einmal (groß) umzuziehen. Da steckt für mich viel Aufwand dahinter und, ganz ehrlich, ich habe eine scheixx Angst vor dem was da auf mich zukommt. Mein Mann war Jäger und Sammler - das Haus ist voll bis unterm Dach. Und ich habe neuerdings echte Probleme mit einem Bein/Rücken, was natürlich das Entrümpeln zum Problem macht. Aber dennoch macht das alles lebendig. Das hat sogar meinen Mann wieder aktiver gemacht. 

Das finde ich toll. Ja, es wird sicher enorm anstrengend, aber es ist wirklich ein Schritt hin zu mehr Lebendigkeit. Es wird Deinem Mann sicher auch gut tun. Das Entrümpeln ist sicher nicht einfach, weder körperlich noch emotional, auch wenn man dadurch alten Ballast los wird. Wie steht Dein Mann denn dazu? Ist er damit einverstanden, dass viele alte Sachen wegkommen?

Liebe Grüße
Christine


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