Guten Tag Anna
Da stehst du nun in deinem jungen Leben vor einer unglaublich schwierigen Aufgabe. Logisch, dass du das nicht alles einfach so stemmen kannst. Ich finde es sehr gut, dass du dir Rat suchst.
Alles was ich hier schreibe, ist nur meine persönliche Meinung als Betroffener, also alles nicht „amtlich“
Nein, dein Bedürfnis gehört zu werden finde ich nicht egoistisch, im Gegenteil! Ich halte es für wichtig, dass du dir deiner Grenzen bewusst wirst/bist und du dir deine Freiräume und Auszeiten schaffst/bewahrst. Wenn du dich beispielsweise wöchentlich an einem bestimmten Tag/Abend mit deinen Freundinnen triffst, ist das für dich eine wichtige und wohlverdiente Abwechslung und Ablenkung. Dein Verlobter wird sich rasch daran gewöhnen, wie auch deine Schwiegermutter.
Dein/euer Haushalt muss nicht perfekt sein. Lass ruhig liegen, was nicht unbedingt sein muss (angemessene Prioritäten setzen). Viel wichtiger ist, dass du das Wichtigste schaffst, ohne dir zu schaden. Und das vielleicht über längere Zeit nötig! Es nützt niemandem, wenn du dich verausgabst und dann nicht mehr kannst. Niemand wird zu dir stehen, wenn du zusammenbrichst. Beruflich wie privat kannst du spätestens mittelfristig kaum mit viel Verständnis rechnen, wenn du nicht mehr „funktionierst“. Das liegt nicht an dir, das ist einfach so – meistens.
Vielleicht kannst du in einer Selbsthilfegruppe für Angehörige Hirnverletzter Unterstützung und Selbstsicherheit finden, oder vielleicht hat dein Hausarzt eine Idee, oder frag einmal den Arzt und die Therapeuten deines Verlobten.
Eine Lösung (zB eine externe Hilfe) für deine Schwiegermutter wäre eine grosse Erleichterung für dich. Das Problem zu bereden um eine Lösung zu finden, die nicht zu deinen Lasten geht, ist offensichtlich legitim und wohl dringend nötig.
Wie Jürgen oben bereits erwähnt: verwöhne deinen Liebsten nicht zu sehr, er muss auf eigenen Füssen stehen; das ist für euch beide wichtig. Und vergiss nicht, Männer sind geborene Machos! alle! ausnahmslos! Je nach aktuellem Behinderungsgrad sollte dein Verlobter seinen Beitrag zum Haushalt leisten – unbedingt, wie ich meine. Einerseits zur Rehabilitierung und für sein Selbstvertrauen, andererseits für dich, damit du seinen guten Willen spürst.
Dass du dich „gemein“ fühlst, wenn du schwierige Themen ansprichst ist schon klar aber eher unbegründet. Du wirst kaum um unangenehme Gespräche herum kommen, wenn du nicht untergehen willst. Bald wirst du viele Weichen für dein künftiges Leben stellen müssen. Ja, die Themen sind heikel. Es scheint mir aber wichtig zu sein, dass dir klar ist, dass du keinerlei Schuld hast, weder am Schlaganfall deines Partners noch an der Verfassung deiner Schwiegermutter noch an der Tatsache, dass du ein Recht auf ein lebenswertes Leben hast. Es ist niemals deine Aufgabe, allen alles recht zu machen - und schon gar nicht auf deine Kosten und deine Gesundheit.
Ich wünsche euch allen alles Gute und dir viel Kraft und viel Geduld und Durchsetzungsvermögen.
Melde dich bitte wieder, wenn du Fragen oder neue Erkenntnisse hast (wenn du magst), damit hier auch andere Menschen vom Austausch profitiren können – danke.
Liebe Grüsse
Christoph