Lieber Oliver,
zum Glück gab es Corona noch nicht, als mein Mann seinen Schlaganfall hatte und ich vermute dass die, die hier aktiv sind, alle damit keine oder wenig Erfahrungen gemacht haben. Mein Mann war zwar noch mal aufgrund eines epileptischen Anfalls in der ersten Lock-Down-Phase erneut in Reha, aber das ist ja nicht zu vergleichen.
Nun.. was mir möglich ist, ist zu versuchen mich vor dem Hintergrund meiner Gefühle/Ängste in der Akutphase einzufühlen und auf dieser Basis meine Vorschläge / Fragen zu formulieren:
a) Hast Du eine Vorsorge- oder Generalvollmacht, oder bist Du von Gerichts wegen als Betreuer benannt? Falls nein, wer fungiert als Betreuer und hat dieser bereits das Gespräch mit dem Arzt gesucht? Bedauerlicher Weise ist man als Ehepartner leider nicht automatisch die Person die Auskunft erhalten und Entscheidungen treffen darf.
b) Falls Du auskunftsberechtigt bist: als Erstes beim behandelnden Arzt um ein Telefongespräch bitten. Zur Vorbereitung darauf die Fragen formulieren. Lähmung, aktuelle Mobilität, Phase der Schluckstörung, kognitive Einschränkungen, Entwicklung in der Sprache (Sprechen, Lesen, Schreiben, Rechnen). Ist er Inkontinent, falls ja, in welchem Ausmaß? Falls man das nicht weiß weil er immer noch einen Katheter hat, fragen mit welcher Begründung der Katheter noch nicht entfernt ist (aufgrund eigener leidvoller Erfahrungen "reite" ich gerne auf diesem Punkt herum.) Blutwerte erfragen (Eisen, B12, D3, Entzündungswerte (Leukozyten, CRP, BSG), wie sieht der Blutdruck aus? Fragen wie wahrscheinlich eine Verlängerung der Reha ist.
Sollte man sich auf der Station deshalb etwas zieren, dann über die Verwaltung den Wunsch adressieren.
c) danach die Gespräche mit den Therapeuten suchen. Ich habe die Erfahrung (vor Ort) gemacht, dass die Aussagen des behandelnden Arztes nicht immer identisch mit dem waren was die Therapeuten sagten. Er war an der Stelle ja doch nur das Sprachrohr der Therapeuten und da gab es oft genug schon auf auf dem Weg des Informationstransfers Fehlinterpretationen. Da der Arzt jedoch ausschlaggebend für die Verlängerung der Reha ist, wäre mir sein Bericht wichtig.
b) Weshalb schon jetzt das Gespräch mit dem Entlassmanagement? Steht denn die Entlassung schon jetzt an?
Zu Deiner Frage bezüglich Schluckstörung:
Nein, es muss nicht Jahre dauern, bis sich das normalisiert. Mein Mann hatte ebenfalls eine Schluckstörung, war wohl auch nach 5 Wochen soweit, dass er Brot ohne Rinde zu sich nehmen konnte (auf die Woche genau kann ich das aber nicht mehr sicher sagen). Ich kann aber sicher sagen, dass er 3 Monate nach seinem Schlaganfall wieder in der Lage war normale Kost zu sich zu nehmen. Dennoch (und da hat die Reha bzw. der dort verantwortliche Logopäde mehr als geschludert) verschluckt sich mein Mann heute noch ab und zu an seinem Speichel. Ursache: zu schwache Muskeln im Kehlkopf uns Zungenbereich. Bei meinem Mann war die komplette Gesichtsmuskulatur unterentwickelt (er konnte noch nicht einmal mehr lachen). Das bekamen wir aber dann zu Hause mit einer guten Logopädin recht schnell in den Griff und auch der Rest wird immer besser. Also.. alles in allem liest sich das so, dass Dein Mann bezüglich Schluckstörung auf einem guten Weg ist.
Mich überrascht die Diagnose "globale Aphasie" vor dem Hintergrund, dass Dein Mann mit Dir ganz offensichtlich kommuniziert und wohl auch viel versteht. Lt. Definition besteht bei einer globale Aphasie besonders auch in Hinblick auf das Verstehen eine starke Störung.
Aphasiker können manchmal singen (mit Text) was sie ohne Musik nicht könnten. Wenn ihr ein Lieblingslied haben solltet, sing das für ihn.. frag' ihn, ob er mit singen mag. Mein Mann war sogar in der schwersten Phase seiner Sprachlosigkeit in der Lage alte Volkslieder mit zu singen die im Nebenraum geträllert wurden (er war diesbezüglich immer "sattelfest" - ich muss da passen). Später wurde unser Lieblingslied (zum gröhlen und Spass haben) "Marmor, Stein und Eisen bricht". . Dieses Phänomen des singen könnens wurde mir so erklärt, dass die gesunde (linke) Seite für die Emotionen zuständig ist und Singen Emotion sei. In diesem Fall würde die Emotion die geschädigte Seite (die Wortfindung) unterstützen.
Lange Rede, kurzer Sinn... wenn das bei euch passt.. singt was die Lunge her gibt.
Die nächste Frage ist.. wirst Du Deinen Mann zu Hause versorgen können? Hast Du Unterstützung?
Falls ja, dann würde ich mich an Deiner Stelle schon jetzt auf die Suche nach einem "Mitgassigeher" machen. Du wirst nicht mehr so viel Zeit haben und der Hund benötigt Auslauf. (beim Tierarzt aushängen, Wochenblatt, Internet)
Des Weiteren würde ich mich jetzt schon auf die Suche nach guten Therapeuten vor Ort machen. (im Bekannten/Familienkreis herum fragen wer gute Erfahrungen gemacht hat). Ich für meinen Teil würde versuchen in ein Zentrum zu kommen wo alle Therapeuten zusammen arbeiten. Ich bin durch Zufall da rein gekommen und kann nur im Nachhinein sagen, dass wir damit ein ziemliches Glück hatten.
Ebenso informieren welche Pflegedienste vor Ort sind und Kontakt aufnehmen (Konditionen erfragen und ob überhaupt Kapazität vorhanden wäre.)
Die Frage ist auch, ob eure Wohnung/Haus so beschaffen ist, dass er sich innerhalb gut bewegen kann und wie er ins Haus gelangen kann.
Oliver.. Du schreibst Du kannst nicht arbeiten.. mh.. mir hat die Arbeit geholfen mein Gedankenkarussel abzuschalten. Ohne meine Arbeit wäre ich durchgedreht - auch wenn ich ganz sicher in dieser Phase meine Arbeit nicht in der gewohnten Qualität abgeliefert wurde. Zum Glück hat mein Vorgesetzter das von mir auch nicht erwartet. Deshalb.. wenn Du nicht arbeiten kannst/magst, dann suche Dir Ablenkung. Die Rückkehr Deines Mannes zu organisieren wäre so etwas.
Halt' Die Ohren steif.. Du wirst das schaffen - und ich kann Dir versichern, dass man auch kommunizieren kann ohne dass der Partner Sätze sprechen kann. Diese Erfahrung kannst Du leider wegen Corona nicht in dem Ausmaß schon jetzt machen wie das bei mir der Fall war .. deshalb.. glaub's mir. Das funktioniert mit (viel) Geduld und Zeit...und wird von Monat zu Monat auch leichter. Selbst dann, wenn die sprachlichen Fortschritte nicht so groß sind.