Hallo liebes Forum,
auch wenn ich eigentlich ungern solche privaten Einblicke zulasse, aber ich freue mich, eine passende Anlaufstelle gefunden zu haben ... und bitte Vorsicht, recht viel Text. Mich abzulenken ist mir in den letzten Tagen nie möglich gewesen und das wird auch so bleiben.
Wo fange ich an? Meine Mutter hat mit ihren 65 Jahren bis dato alles wie immer selbst geregelt. Nur wenn es an PC und Smartphone ging, benötigte sie meine Unterstützung und ist bezüglich des Internets skeptisch, was Themen wie die Datensicherheit angeht. Vor Jahren hatte ich ihr zwar einen Laptop eingerichtet, den sie auch gern fürs Abrufen der Nachrichten usw. verwendet hat, welcher aber irgendwann nicht mehr hochfuhr und anscheinend auch nicht zu retten war. Das damalige Einfach-Smartphone gab auch irgendwann seinen Geist auf und ich überließ ihr mein robustes Outdoorhandy ohne Touchdisplay und mit ewiger Akkulaufzeit. Dessen proprietärer Ladestecker war im Sommer 2020 allerdings auch durch und schwer erhältliche Nachbauten waren mehr gestört als funktionstüchtig. Das "Erlernen" des neuen Smartphones inkl. Flat wollten wir immer üben, aber eigentlich war ihr das zu viel (unsicheres) "Neuland". In Summe war sie nur in meiner Zweitwohnung erreichbar, wenn ich z.B. von Zuhause auf anrief.
Wie gesagt erledigte sie alles, was heutzutage ohne Rechner und Telefon zu machen ist, völlig eigenständig und meist eine Stufe wissenschaftlicher als gefordert. Bei diversen Behörden usw. natürlich am besten persönlich mit dem Bearbeiter, aber dann kam Corona. An Ihrem Wohnort war man schnell dabei, alle Anlaufstellen dichtzumachen (oder nur noch auf telefonische Vereinbarung im Einzelfall hereingeholt zu werden). So besuchte sie mich dann doch öfter, auch um Behördenkram etc. durchzuarbeiten. Gesundheitlich war an sich auch alle in bester Ordnung, nur beim Trinken, umfassenden Essen und Dingen wie längerem/schnellem Treppensteigen haperte es. Für ihr Alter meisterte sie aber auch ordentliche Wegstrecken und das Tragen von Einkäufen usw. sehr gut. Ob bei mir, während der Telefonate oder im Nachhinein berichtete sie mir allerdings seit etwa zwei Jahren von unregelmäßigen Drehschwindelanfällen und starken Kopfschmerzen (mehrmals im Monat), deren Ursache für sie eine Mangelversorgung mit lebenswichtigen Elementen war. Sie erlebte diese oft so, dass ein großes Glas (Salz-) Wasser und eine gewisse Zeit Ausruhen im Sitzen Besserung brachten. Wegen der ansonsten manchmal aufgetretenen Brustschmerzen hatte sie (wenn, dann) eher Befürchtungen, im höheren Alter irgendwann einmal Krebs diagnostiziert zu bekommen. Vor etwa einem Jahr fiel sie (wohl infolge sehr abrupter Bremsung eines Zuges, wöhrend sie mit Gepäck die Treppe heruntergehen und aussteigen wollte), verfolgte das aber nicht weiter (da war/ist wohl auch eine Kopfwunde vorhanden). Man muss wissen, dass sowohl sie (Schwierigkeiten mit Behörden/Rentenversicherung, Vermieter u.ä.) als auch ich (beruflich, Finanzamt, betrügerische Kunden meiner selbständigen Zeit etc.) viele Fristen, elendig lange Schriftverkehre usw. abzuarbeiten haben (wobei sie mich natürlich immer unterstützen wollte und z.B. aktuelle rechtliche Änderungen, Entscheidungen und Entwicklungen verfolgte und festhielt).
Einkaufen, Haushaltstätigkeiten, gesund kochen etc. erledigte sie auch gern und ohne Auffälligkeiten. Nur mit dem Gang zu jeglichen Ärzten hatte sie es weniger, auch weil diverse Behörden z.B. lange Zeit die Rentenbearbeitung verschleppten und nicht klar war, ob sie am Ende als Zechpreller vor dem Arzt stehen würde. Hinzu kamen die medialen Coronahinweise, weshalb sie sich erst recht in kein Wartezimmer (oder in Folge gar eine Klinik) mehr traute, wo sie wirklich nach allen Möglichkeiten Obacht gab, im Alltag davon verschont zu bleiben.
Eines normalen Wochentages war sie wegen neuer Briefe usw. wieder in meiner Zeitwohnung zu Besuch. Am Nachmittag/Abend konnten wir den ganzen Schriftkram nicht mehr zu Ende bringen und wollten am nächsten Nachmittag (also nach meiner Arbeit im Homeoffice) weitermachen. Als gesundheitsbewusster Mensch habe ich auch einen Tageskalender mit entsprechenden täglichen Beiträgen hängen, über dessen Inhalt ich mich gern mit ihr austausche. Ich weiß nicht mehr, was in mich fuhr, aber wegen des Zeitmangels am frühen Morgen riss ich das "alte" Blatt ausnahmsweise schon am alten Tag ab (was ich mindestens in den letzten Jahren nicht gemacht hatte), der Inhalt war leider ein böses Omen für den Folgetag.
Am nächsten Morgen wachte ich mit bleibenden Brustschmerzen bis in den Rücken und Hals auf. Wir gingen beide unseren Dingen nach. Sie half auf Besuch gern im Haushalt, ich war im Arbeitszimmer tätig. Als sie sich das zweite Frühstückbrot mit Kaffee zubereitet hatte, legte sie Frischkäse und Käse wieder ordentlich in den Kühlschrank zurück. Ich war nach der Toilette zufällig gerade in der Nähe sah, dass sie sich an der Kühlschranktür festklammerte. Ich schloss diese und sie hat sich wegen des "üblichen" Drehschwindelanfalls kurz mit umklammerter Brust hingelegt. Das ebenso übliche Wasser wollte sie aber nicht trinken, den Kaffee später auch nicht ... Ich fragte zwischen der Arbeit einige Male nach, aber sie wollte nichts und winkte immer nur ab. Den Einfall, Hilfe zu rufen, hatte ich nicht, zumal sie sich wegen der Umzugssituation, am Vortag gelieferten Kartons im Flur und den vollen Wäschekörben erfahrungsgemäß geschämt hätte. Auch hatten wir beide nur einfache Freizeitsachen an (das sind leider Nebenerscheinungen, wenn es "nur" das Homeoffice sein muss), weshalb Besuch erst recht ungebeten war.
Ich hatte bis zum Dienstschluss noch so viel erledigen wollen und machte mich immer wieder an die Arbeit. Dass sie beim Nachsehen zwischendurch auch Schmerztabletten usw. ablehnte, war normal. Und in Gesten statt Worten zu antworten, kannte ich von meinen eigenen Migräneattacken, das kam mir nicht unnormal vor. Irgendwann saß sie plötzlich in der Tür des Gästezimmers, blickte ich an, winkte aber immer nur ab. Irgendwann googelte ich zwischen den Arbeitsschritten und kam zu dem Entschluss, bei dem kleinen Schwindel noch etwas abzuwarten, zumal der Missbrauch des Notrufes auch nicht ohne wäre. Auch die Mundwinkel waren nicht heruntergezogen.
Als sie dann erbrochen hatte und wiederholt Laute von sich gab, versuchte ich krampfhaft, sie aufs Bett/auf einen Stuhl/zur Haustür zu bewegen, was ich körperlich nicht schaffte (erst im Nachhinein fielen mir das/der einseitig schlaffe Bein/Arm auf). Ich putzte das Erbrochene weg und versuchte erfolglos, ihr frische Sachen anzuziehen, nachdem sie sich der "schämenswerten" Sachen zum größten Teil selbst entledigt hatte. Zwischendurch reichte sie mir wie selbstverständlich die eingenässte Hygieneeinlage. Ich kämmte sie, legte ihr eine Decke über, machte mich schnell frisch und räumte noch etwas auf. Ich ging wegen ihres Schames (die Blicke, die Gesten!) ins entfernteste Zimmer und kam immer nur bis zur "11". Zwischendurch sah ich immer wieder nach ihr. Bis dahin schaute sie mich immer noch "normal" an. Erst, als sie plötzlich einen kurzen Schrei abgegeben hatte, vervollständigte ich zitternd die "112". Selbst im Gespräch war mir der Ernst der Lage noch nicht bewusst und ich entschuldigte mich fast noch, zu stören.
Das spätere Klingeln erschreckte sie (wie ein Schlag durch den Körper), da das ungebetener Besuch sein musste. Gegenüber dem Rettungspersonal reagierte ich immer noch irgendwie "geschockt/abwesend/geschäftlich" und mir fiel auf, wie viel und doch wenig ich trotz sehr intensiver Bindung von meiner sehr eigeninitiativen Mutter wusste. Bis dann auch RTW und Feuerwehr (Trage über mehrere Stockwerke) eintrafen, dauerte es noch. Nachdem die Mitarbeiter eine Ewigkeit später etwas von einem evtl. "Schlaganfall" und den in Frage kommenden Krankenhäusern gesagt hatten, riss sie plötzlich starr die Augen auf und blickte mich an (mir kam es so vor, als wenn sie sich wirklich sehr vor den fremden Leuten in der Wohnung schämte und dem Krankenhaus fürchtete). Als ihre Pupillen danach untersucht werden sollten, bekam sie ihre Augen nicht mehr auf. Sie hatte wohl auch mitbekommen, dass schon gefühlt das ganze Haus neugierig geworden war ...
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An die Details erinnere ich mich erst mit größerer Verzögerung. Erst sehr spät kam mir in den Sinn, dass die Frage nach einer (nicht vorhandenen) Patientenverfügung doch keine formelle Routinefrage war. Mein Schuldgefühl steigt ins Unermessliche. Hätte sie mit nur 65 Jahren, wenn ich richtig und schnell reagiert hätte, geringere Schäden davongetragen? Waren die "kleineren" Anfälle davor auch schon Schlaganfälle und das Hirn zunehmend geschädigt oder bin ich völlig allein für das Fiasko verantwortlich? An Schlaf ist nicht zu denken, ans Trinken nur notdürftig, ans Essen so gut wie nicht. Kopfschmerzen. Ständige Heulanfälle tags wie nachts. Alles unverändert lassen und mit ihr sprechen, wo sie sich aufgehalten hat. Unzählige Gebete.
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Die Kommunikation verlief sehr schleppend. Erst am nächsten Abend durfte ich sie "ausnahmsweise" im Krankenhaus besuchen. Schwerer Schlaganfall links ... bleibende Lähmungen rechts und Sprachstörungen ... künftig bleibendes Sprachverstäöndnis fraglich ... nahezu komplette linke Gehirnhälfte tot und sichtbare Verschiebungen ... OP ja/nein, falls es notwendig wird? Eigentlich lehnte sie jegliche Intensivmedizin strikt aber, aber hätte ich den angekündigten sofortigen Tod im Falle des Falles verantworten können, wo ich bis dahin doch schon genügend danebengelegen habe? Bei meinem Besuch reagierte sie anscheinend auf alle meine Aussagen, ich musste sie aber wohl öfters wieder aufwecken, als ich Redepausen gemacht hatte. Sie reagierte auch beim Sprechen von rechts, aber Arm/Hand/Bein/Fuß waren auf dieser Seite nur schlaff und reaktionslos. Ihre Augen blieben geschlossen, die Sprache war nicht vorhanden. Ich versuchte es mit positiven Umschreibungen der Situation und dass ich die diversen dringenden Termine usw. gut hätte klären bzw. verschieben können (sie anzulügen war extrem schwierig, doch wollte ich auf keinen Fall negative Stimmung verbreiten). Ich merkte es an ihrem dann verzogenen Gesicht, dass sie mir die ganzen plötzlichen "Klärungen" nicht abgenommen hat. Auch meinen krampfhafter Versuch, auf schöne Erlebnisse und einen guten Ausgang hinzuarbeiten, schien sie sehr skeptisch wahrzunehmen. Leider musste ich die Station coronabedingt recht bald wieder verlassen (auch wenn das nach späterem Blick auf die Uhr doch gar nicht kurz war).
Die Fahrten zum/vom Krankenhaus vergingen gefühlt niemals, ich fühlte mich wie im Tunnel gefangen. Diese Schuld! Was wäre gewesen, wenn ich nur richtig reagiert hätte? Wie soll das weitergehen?
Noch auf der Rückfahrt erhilet ich die Information, dass nun operiert werden müsse ... wie ich herausfand, handelte es sich um die tückische Hemikraniektomie – noch mehr Schuld, noch mehr Zukunftsängste. Die Notwendigkeit eines Betreuers (mich) ist ein Hohn gegenüber meiner so selbständigen und ehrvollen Mutter. Alpträume über sie habe ich schon einige gehabt, aber die waren irgendwann vorüber. Nun kann ich mich zwicken, wie ich will, aber das kalte Grauen nimmt kein Ende.
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In der Nacht der Anruf, dass die OP zwar erst einmal ohne Schwierigkeiten überstanden wäre, aber erst die nächsten Tage zeigen würden, wie meine Mutter aus der Narkose zurückkommt.
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Ich sehe sie gedanklich noch immer daliegen und kann nichts verändern. Sie sitzt und liegt auch an ihren gewohnten Stellen, aber ist nicht fassbar. Bitte, greif meine Hand und antworte mir. Bitte versuch, mir irgendwie zu verzeihen.
Wie soll das nur weitergehen? Ausgerechnet als meine Mutter bei mir war, reagiere ich völlig falsch. Und habe es auch zuvor nicht geschafft, sie zum Arzt zu bewegen. Wahrscheinlich wäre es besser ausgegangen, hätte der Schlaganfall auf offener Straße, im Zug, beim Einkaufen ... zugeschlagen. Es sind auch so viele Dinge noch nicht geklärt, ich kenne mich so wenig über ihre Unterlagen aus und nicht zuletzt fehlt sie einfach an jeder Ecke. Es ist einfach völlig anders, als wenn sie zwischen den Besuchen (oder gemeinsamen Ausflügen usw.) Zuhause und nur nicht telefonisch erreichbar wäre.
Mir hätte es zu keiner Zeit so wenig ausgemacht, wenn mein ungeklärter Bluthochdruck, die Brustschmerzen, Migräneattacken usw. jetzt final zuschlagen würden. Bitte lange unentdeckt und ohne Intensivbehandlung. Und an die Arbeit ist auch nicht zu denken, habe ich diese doch fälschlicherweise einer rechtzeitigen Entscheidung über das gesunde Leben meiner Mutter vorgezogen. So habe ich in wenigen Stunden unser beider Leben unwiederbringlich zerstört. Diese schwere Schuld kann ich durch nichts mehr aufwiegen, kein Ausweg in Sicht.
Liebe Grüße