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Hallo Ihr Lieben,

Hallo, 

Am Mittwoch den 05.06.19 ist meine Mutter nach längeren Leidensweg verstorben. Irgendwie möchte ich den Verlauf "unseres" Weges weitergeben, weil jeder Schlaganfall anders kommt, anders verläuft... anders endet?

Bei uns ging es mit einer Grippe 2015 los. Von der hat sich meine Mama, die auch nie gerne zum Arzt ist, nicht erholt. Hat abgenommen, monatelang Appetitmangel gehabt und das erste Mal ist sie da in der Apotheke plötzlich bewusstlos umgekippt. War gleich wieder "da", nichts passiert, man dachte liegt halt am Blutdruck und Kreislauf.  

Sie ist nach dieser Grippe einfach plötzlich gebrechlich geworden, mit damals gerade 71 Jahren. Eine Frau, die immer fit, agil und flott war. Ich wollte das damals nicht wahrhaben. Ein Vorhoffflimmern wurde diagnostiziert. 2016 kamen wieder plötzlich so Stürze. Ende 2016 habe ich sie nach einem "Kreislaufanfall" dann in die Notaufnahme gebracht, Verdacht auf ischämische Attacke. Ein kleines Magengeschwür wurde entdeckt. Meine Mutter hat sich am nächsten Tag selbst entlassen aber wenigstens ein paar Tage später das Magengeschwür entfernen lassen, war alles gut soweit. 2017 häuften sich die Stürze dann. Im Juni im Supermarkt. Im September wieder. Platzwunde am Kopf, Hand gebrochen. Facharzt in der Neurologie: die Blutung auf dem CT kann vom Sturz auf dem Kopf kommen, aber man sieht dass hier schon kleine Infarkte waren. Sie muss ihre Blutverdünner nehmen, sonst wird sie beim nächsten "Anfall" einen richtigen Schlaganfall haben, der sie nicht umbringt aber zum Pflegefall machen wird. Mir wurde ganz anders. 

Meine Mutter hat das runter gespielt, ja ja ich nehme meine Tabletten aber ich werde keine Pflegefall. Ich gehe niemals in ein Heim.

Im Dezember 2017 erreiche ich sie nicht, als ich die Wohnung aussperre, liegt sie da, gestürzt. Verdacht auf ischämische Attacke aber sie hat sich auch die Hüfte gebrochen. Reha im Januar 2018 , sie erholt sich gut, kann im Februar schon wieder Treppen steigen, Bus fahren etc. Jeden Tag telefonieren wir, ich besuche sie regelmäßig, es sieht gut aus. Im März 2018 ruft sie mich morgens an, es geht ihr nicht gut, sie glaubt sie bekommt eine Magen Darm Grippe, sie hat Schüttelfrost. Ich soll heute nicht vorbei kommen, nicht dass ich mich anstecke. Am Abend, wir haben immer abends telefoniert, erreiche ich sie nicht. Weil ich mit Freunden unterwegs bin, sage ich mir, ich fahre morgen früh gleich hin zu ihr. Als ich am nächsten Morgen hinfahre, liegt sie im Flur , gestürzt. Sie will nicht ins Krankenhaus, aber sie hat Schmerzen. Sanitäter tippen auch gleich auf Durchblutungsstörung im Gehirn. Also ab ins KH. Oberschenkelhalsbruch. Ich denke wieder, Glück im Unglück und verstehe trotzdem die Häufigkeit der Stürze und Brüche nicht mehr. 

Heute weiß ich, dass die befürchtete Grippe , der Schüttelfrost und die Übelkeit den "kleinen" Schlaganfall angekündigt haben, der den Sturz verursacht hat.

Eine Woche nach der OP erleidet sie im Krankenhaus einen richtigen Schlaganfall und wird nach Harlaching verlegt. Auf der Stroke Unit , einen Tag nach Entfernung des Blutgerinsels, spricht sie zwar undeutlich weil der linke Mundwinkel hängt, aber sie ist total klar im Kopf. Sie weiß, wo ihre persönlichen Gegenstände sind, ihre PINS, was ich zu tun habe, etc. Sie kann ihre Beine bewegen , nur den linken Arm nicht, und ich denke mir "puh, Glück gehabt!!!!" 

Ich sollte mich so irren...

Ich hatte geglaubt, der Status würde so bleiben und es kann nur besser werden. Dass sich aber Tage später erst die vollen Auswirkungen zeigen, das wusste ich nicht. Meine Mutter wurde apathisch, sprach nichts, hatte Schluckbeschwerden. Man sagt mir, sie ist linksseitig gelähmt, Neglect.

Ich weinte. Paar Wochen später, sie war insgesamt knappe 3 Monate in der Frühreha, konnte sie wieder schlucken, wieder sprechen, wieder mit einem richtig unterhalten. Wenn sie auch die Zeiten etwas vermischte. Auch konnte sie richtig deutlich sprechen . Leider war ihr Neglect linksseitig so extrem, dass sie nicht mobilisiert werden konnte.

Schock war, als ich im Juni 2018 den Anruf bekam, ich solle ein Pflegeheim suchen, sie wird sicher die höchste Pflegestufe bekommen, weiterführende Reha ist gerade keine Option.

Meine Mutter in einem Heim? Bettlägerig mit Windeln? Das wollte sie nie. Aber einen Menschen kann man nicht erlösen. Da müssen wir alle gemeinsam durch. Ich bin damals so überfordert und habe Gewissensbisse, funktioniere, realisiere immer noch nicht, dass meine Mutter nie mehr die wird, die sie vor dem Schlaganfall war.  

Zum Glück habe ich schnell einen Platz in dem Heim in meinem Ort gefunden, ein schönes Zimmer, nette Pfleger. Ein bisschen aufatmen. 

Anzeichen von Demenz werden auch diagnostiziert . Mir tut der Anblick so weh, sie dort liegen zu sehen oder im Rollstuhlfahrer sitzend...es fällt mir schwer dort in das Heim hinzugehen. Sie kann sich auf nichts konzentrieren wie Fernseher oder Radio, sie kann nicht mehr lesen. Das Handy kann sie auch nicht mehr annehmen, sie versteht gar nicht, dass es klingelt, geschweige denn was damit zu tun ist. Ich hatte so gehofft, jeden Tag mit ihr telefonieren und ihr damit den Tag unterhaltsamer gestalten zu können. Aber natürlich erkennt sie uns, Reden und ein "Nachbarschaftstratsch" funktioniert auch. Zwischendurch sagt sie Sachen, die nicht sein können wie "ich gehe jetzt dann einkaufen" oder "ich habe heute schon Wäsche gewaschen ". Aber immer noch alles so, dass es erträglich ist. Aber was weh tut, ist einen Menschen, der immer aktiv war, so zu sehen. Wie sie im Bett zusammen gesackt liegt. So ausgeliefert. Ihr mit nichts eine richtige Freude machen zu können. Sie kann sich selbstständig nicht mal an den mitgebrachten Pralinen bedienen. Das tut weh. Sie weiß nicht, dass sie Geburtstag hat, geschweige denn dass wie Geburtstag haben. ...

Dieser Zustand hält an bis Januar 2019, an einem Abend ist sie so ruhig, fast wieder apathisch wie damals zwischenzeitlich in der Frühreha. Ich sage ihr "heute bist du komisch, geht es dir gut?" Sie sagt, sie ist müde. Am nächsten Tag kommt sie mit einem epileptischen Anfall ins Krankenhaus. Danach ist sie nur noch so. Ich kann sie fast nicht mehr besuchen, es tut so weh. Im März der nächste epileptische Anfall. Sie geht mehr und mehr kaputt, kann nicht mehr im Gemeinschaftsraum im Rollstuhl essen, bleibt dafür im Bett und wird gefüttert. Im Mai kommt sie mit einem schweren Infekt ins KH, ich bekomme einen Anruf , dass es sich um eine eitrige Pneumonie handelt. Der Arzt rät von Operation, ohne die es aber tödlichenden wird, ab, da ihr Leben nicht mehr lebenswert ist. Es zieht mir den Boden unter den Füßen weg. Ich gebe offen zu, dass meine Mutter nie lebenserhaltend behandelt werden wollte, nie ein Pflegegall sein wollte. Es gibt keine Patientenverfügung, aber ich habe ihre Worte im Ohr. Der Arzt ist froh, dass ihr Wille auch in diese Richtung ging. Dass ich nicht darauf bestehe , sie operieren zu lassen, sie zu quälen , nur um ein paar Monate oder vielleicht Jahre weiterhin bettlägerig und mehr oder weniger ansprechbar zu verbringen. Er macht eine Antibiose und diese schlägt gut an, die Entzündungswerte gehen runter und sie kann wieder ins Heim entlassen werden. Es kann aber in 2, 3 Wochen wieder losgehen und dann sollte man es über eine Palliativversorgung behandeln. 4 Wochen später ist es soweit, sie kommt wieder ins Krankenhaus auf meinen Wunsch, der Infekt ist zurück. Am 04.06. Wird sie aus dem Krankenhaus entlassen, um im Heim palliativ behandelt zu werden. Am 05.06. bekomme ich um 8.30 Uhr einen Anruf aus dem Heim, meine Mutter ist eben verstorben.  

Als ich eine Stunde später verheult ankomme, sehe ich sie in ihrem Bett liegen. Sie hat ein Lächeln, ja einen zufriedenen friedvollen Blick. Die Lippen sind irgendwie lächelnd. Ich bin so froh, als ich das sehe. Weg ist der starre Blick, der schiefe Mundwinkel. Und doch schmerzt es so ungemein , dass ich nun meine Mutter endgültig verloren habe.  

Im Zimmer spüre ich, dass hier nur noch ihr kranker Körper liegt, ihre Seele, das was sie ausgemacht hat, ist weg.  

Ich glaube, sie war unendlich froh, aus diesem Körper raus zu können. 

Es wäre vielleicht vieles anders gelaufen, hätte sie die Anzeichen, die Warnungen seit 2015 ernster genommen, aber andererseits darf jeder sein Leben selbstbestimmen , solange es geht.  

Sie wurde nur 74 Jahre alt und so wie sie vor der Krankheit war, so fehlt sie jeden Tag, jede Minute, jede Sekunde. 

 


Dieser Beitrag wurde bereits 6 mal bearbeitet, zuletzt von »Lovely« (09.06.2019, 12:20)
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