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Viele Fragen

Hallo, 

ich wende mich an das Forum, da mein langjähriger Partner mich seit dem Schlaganfall fast völlig von Informationen ausschliesst und ich nur sehe, wie es bergab mit ihm geht .. 

Ich stehe nun da mit einem Haufen Fragen und der Möglichkeit, dass ich ihn in Kürze nie wieder sehe - vielleicht hilft mir jemand, die ganze Situation und krankheitsverlauf zu erklären. Auf jeden Fall bedanke ich mich vorab für die Zeit des Lesens. 

Wir leben gemeinsam noch im im Ausland im Norden, seinem Heimatland, und ich bin dabei in einigen Tagen auszuziehen .. 😕

Mein 60-jähriger Partner hat seit einigen Jahren Diabetes Typ II und Herzrhythmusstörungen. Die Herzrhytmusstörungen wurden kurzfristig mit Kardioversion, einem Elektroschock behoben.. Wirklich auf sich, seine Ernährung hat er nicht geachtet. 

Vor einem Jahr begann er deutlich abzubauen, körperlich insgesamt und hatte auch kommunikative Schwierigkeiten. So warf er mir beispielsweise täglich vor, ich könne kein richtiges Deutsch und würde mich nicht mehr richtig ausdrücken. Dabei wurde er sehr "vergesslich" und wusste nicht mehr, was er wann und überhaupt gesagt hatte. Er wurde zunehmends aggressiv, sodass unsere Beziehung auskühlte und wir auch in getrennten Zimmern übernachten .. 

Im letzten Juni hatte er dann einen Schlaganfall, ausgelöst durch eine grössere Hirnblutung, welche sich bis heute nicht abgebaut hat. Vor 3 Wochen hatte er dann einen erneuten, kleinen Schlaganfall. Zusätzlich hat er mindestens seit Juni grössere Herzrhythmusprobleme. Die Hirnblutung / Schlaganfall betrafen insbesondere sein Sprachzentrum und die Beweglichkeit seiner rechten Hand. 

Nun ist es aber so, dass er wieder relativ gut sprechen kann und seine seine Hand einigermassen gut bewegen kann. Jedoch schläft er 16-18 Stunden pro Tag und ist etwa 20-30 Jahre gealtert. Er macht nur langsame 20-cm Schritte und kippt dabei manchmal fast um. Da er seinen Beruf seit dem Schlaganfall nicht mehr ausüben kann, ist er zudem depressiv und isst (das bei Diabetes!) nur einmal pro Tag. Vorzugsweise noch mit einem Bier, - Wasser ist für ihn ein Fremdwort, er trinkt auch fast nichts mehr. 

Nun soll am 18. sein Herz nochmal mit Elektroschocker resettet werden ... - ich frage mich, ob er sowas überhaupt überstehen kann. Er hat sich mir mittlerweile komplett entzogen. In jeglicher Hinsicht. Obwohl ich alles gegeben habe, - auch in jeglicher Hinsicht. 

Da ich nun nichts mehr zu geben habe und wir in einem Land leben, wo ich zwei gut gehende Airlines besitzen müsste um alle Kosten alleine tragen zu können, bin ich gezwungen, wieder in meine Heimat zurückzukehren. - Er hat sich geweigert, sich an Kosten irgendwelcher Art zu beteiligen oder Unterstützung zu holen. Alles sollte ich erledigen und ich kann nicht mehr.

Er bleibt auf ausdrücklichen Wunsch hier bei seiner Familie, ich bin in seinen Augen mittlerweile nur noch ein Versager der nicht Deutsch kann und nicht komplett für alles alleine mit für ihn übernehmen kann. Dabei habe ich die letzten 2 Jahre 16 Std. täglich gearbeitet und auf Existenzminimum gelebt, während er genommen hat solange er konnte. Und ja, ich fühle mich enorm schuldig, ihm vielleicht die letzten Monate oder Jahre die er noch hat, nichts mehr geben zu können. Aber macht ihn sein Gesundheitszustand so unantastbar, dass ich mich auf ewig schuldig fühlen muss, ihn "alleine" zurückzulassen? 

Er wirkt auf mich mittlerweile so schwach, dass ich jeden Tag fürchte, dass es sein letzter ist. Kennt ihr ähnliche Fälle mit Schlaganfällen, Diabetes TypII plus Herzrhythmusstörungen sowie einem sturen Bock, der nichts an seiner Ernährung geändert hat und trotzdem wieder fit geworden ist und einige Jahre gut leben konnte? Ich wünsche es ihm. 

 

 

 

 

#2

Etcetera

Basel, Schweiz

Guten Abend Sanna

Zitat: „Aber macht ihn sein Gesundheitszustand so unantastbar, dass ...“

Ich denke „Ja und nein“. Zum „Ja“:

Es ist gut möglich, dass Dein Partner aufgrund einer Wesensveränderung (Dir gegenüber) sehr ungerecht ist, Hemmschwellen sich verschoben haben oder was auch immer. Vielleicht hat er auch ein kognitives Problem, eine verzerrte Wahrnehmung. Da ist weder auf Deiner noch auf seiner Seite ein Verschulden, das ist einfach so.

Sehr viele SA-Patienten sind von einer Wesensänderung Betroffen. Schaue mal in diesem Forum oder google vielleicht mal danach. Diese Veränderung gründet hauptsächlich auf den Zerstörungen im Hirn, dem Heilungsprozess, den Lebenserfahrungen, der Psyche und der neuen, völlig unbekannten Situation.

Trotzdem, Dein Partner hat seinen Willen, den es möglichst zu respektieren gilt. Soweit musst Du die Situation wohl hinnehmen.

 Zum „Nein“:

Vielleicht könnte Dein Partner viel Positives zu Eurer Situation beitragen, nur schafft er das nicht oder er will es nicht. Ob ein Neuropsychologe hier etwas verändern könnte? Ich denke schon …

Ich halte es für sehr wichtig, dass Du auch zu Dir schaust. Es bringt niemandem was, wenn Du zusammen brichst oder gar Dein Leben zerstörst. Daher sollte der Gedanke „ihn alleine zurückzulassen“ kein Tabu sein, es ist sein Wille. Wenn Dein Leben zur Hölle wird, hast Du das Recht oder gar die Pflicht, etwas zu verändern. Vielleicht sprichst Du Dich mit seiner Familie ab. Auch könnte Dir sein Arzt bei vielen Deiner Fragen weiterhelfen.

Von einer Schuldzuweisung (gegen Deinen Partner wie auch gegen Dich selbst) solltst Du versuchen Abstand zu nehmen. Es geht hier nicht um Schuld und Versagen, sondern um ein dramatisches Ereignis, das sehr viel Leid birgt.

Es wird Dir wahrscheinlich nie wirklich gelingen, Dich in die (wirre) Welt Deines Partners zu versetzten. Das ist einfach so, das erleben unzählige Angehörige. Mit Zureden oder gar Druck ist üblicherweise nichts zu erreichen, im Gegenteil.

 

Zitat: „Und ja, ich fühle mich enorm schuldig, …“

Klar, dass Du so fühlst, das erleben viele Angehörige in ihrer Hilflosigkeit.Ohne die Hilfe des Patienten geht nichts, da kannst Du tun, was Du willst. Auch hier gilt nach meiner Meinung, es gibt keine Schuldfrage.

So fände ich es gut, wenn Du Deine Situation aus Deiner eigenen Perspektive versuchst zu erfsassen. Und dass Du dabei Schuldfragen und gesellschaftliche, kulturelle und religiöse Zwänge ausblendest. So könnte Dir der Einstieg in die Verarbeitung Deiner sehr schwierigen Situation gelingen – vielleicht auch mit der Unterstützung professioneler Hilfe.

Grüsse aus Basel

Christoph

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