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Ich befürchte, mein Vater hat nach Schlaganfall resigniert

Hallo.

Auch ich bin nun neu hier. Ich versuche Rat und Tipps zu finden. Und vielleicht auch etwas Trost oder Erfahrungen von Betroffenen.

Meine Geschichte (ich hoffe, ich darf so ausführlich sein):

Mein Vater (77) hatte am 12.6. beim Wandern Vorhofflimmern und Herzrhythmusstörungen. Im Krankenhaus wurde eine Kardioversion durchgeführt. Dabei hat er scheinbar erst einen Herzstillstand erlitten (ich erfuhr erst jetzt, dass er wiederbelebt werden musste) und dann auch noch einen Schlaganfall, der wegen der Narkose wohl erst spät festgestellt wurde. Er wurde dann in eine Uniklinik verlegt. Der Schlaganfall betrifft wohl das Mittel- und Kleinhirn.

 

Er war dann einen Tag bei Bewußtsein, konnte sein Namen "sagen", die Monatsnamen aufzählen und auch leicht Arme und Beine bewegen.

Leider hat er dann eine Lungenentzündung bekommen und war lange Zeit im künstlichen Koma.

Da ich Vorsorgebevollmächtigte bin, musste ich dann entscheiden, ob er einen Luftröhrenschnitt bekommen soll, da die Beatmung über einen Schlauch wohl nicht länger möglich war und die Ärzte bezweifelten, ob er ganz alleine atmen könne (?).

Mein Vater hat eine Patientenverfügung in der steht, dass er "bei schwerstem körperlichen Leid, Dauerbewusstlosigkeit ...wenn keine Aussicht mehr auf Besserung im Sinne eines für mich erträglichen und umweltbezogenen Lebens besteht" weder Beatmung, künstliche Ernährung noch sonst irgendeine Behandlung haben möchte.

Mein Bruder und meine Tante hätten dem Luftröhrenschnitt nicht zugestimmt, denn sie meinten, mein Vater möchte nicht als Pflegefall leben. Aber ich konnte es einfach nicht. Schließlich war er doch vorher bei Bewußtsein und auch geistig da. Die Ärzte wollten sich nicht festlegen, welche Schäden zurückbleiben. Was ist denn ein "umweltbezogenes Leben"?

Ich habe also dem Luftröhrenschnitt zugestimmt.

Mein Vater wurde dann aus der Narkose geholt und die ersten zwei Tage dachte ich, er kommt nicht zurück. Er hatte die Augen auf, aber er blickte durch mich hindurch und reagierte nicht.

Die nächste Entscheidung stand an, denn er brauchte nun auch eine Magensonde.

Wir waren so weit, dass wir sagen wollten, die Behandlung soll eingestellt werden, aber am dritten Tag war er viel klarer. Er hat mich erkannt, er versteht alles was ich sage. Er versucht auch was zu sagen, aber durch den Luftröhrenschnitt kann er ja nicht sprechen.

Mittlerweile (nach einem Monat auf der Intensivstation) ist er vorgestern in eine Rehaklinik gekommen. Er kann momentan ganz schwach die Arme und Beine bewegen. Verstehen tut er alles, aber wie gesagt, leider kann ich bis auf Kopfschütteln und Nicken nicht wirklich mit ihm kommunizieren.

 

Meine Sorgen: Habe ich richtig entschieden? Oder hätte ich ihn doch lieber in Frieden sterben lassen sollen? Er tut mir so leid! Wie schrecklich muss es sein, dort im Bett zu liegen und kaum auf sich aufmerksam machen zu können. Mein Vater war sehr aktiv: immer wandern / spazieren gehen, Kino, Lesungen, im Garten werkeln... Freunde hat er keine. Wie schrecklich muss es für ihn sein, nun nur dort liegen zu können?!

Ich weiß, man braucht Geduld. Aber ich weiß nicht, ob er die hat. Und ob das Ergebnis ausreicht, damit er noch einmal glücklich wird im Leben.

Ich wache fast jeden Morgen mit Bauchschmerzen auf und gebe mir die Schuld an seiner Situation.

 

Vielleicht könnt ihr mir sagen, wie man es überstehen kann, wenn man in solch einer Situation wie mein Vater ist?

 

Ich versuche ihn möglichst oft zu besuchen, aber ich habe gerade eine 5 Monate alte Tochter, so dass ich immer entweder meine Mutter (meine Eltern sind geschieden) oder meinen Mann bitten muss, mitzukommen, damit ich meine Tochter zwischendurch stillen kann. Und das klappt halt auch nicht immer, außerdem will ich meine Tochter mit der Fahrerei etc auch nicht jeden Tag belasten.

Ich habe auch versucht mit einer Buchstabentafel herauszubekommen, was er sagen will, aber ich glaube, buchstabieren kann er gerade nicht. Es hat jedenfalls nicht geklappt. Und wieder meine Panik: Wie schrecklich muss sich jemand fühlen, dem es so geht?

Manchmal macht er Grimassen und manchmal lächelt er auch, aber ich befürchte, dass tut er nur, um es mir leichter zu machen.

Ich weiß immer gar nicht, was ich ihm erzählen soll. Fotos von seiner Enkeltochter will er nicht sehen, Radio will er nicht hören, Vorlesen soll ich nicht. Ich habe das Gefühl, er hat resigniert und glaubt nicht daran, dass es noch mal besser werden kann. Bzw. zumindest nicht so gut, dass er sein Leben wieder mögen könnte.

 

Vielleicht habt ihr Ideen für mich, was ich tun kann? Was macht ihr, wenn ihr eure Angehörigen oder Betroffenen besucht, die so stark eingeschränkt sind wie mein Vater gerade? Wie kann man sie aufbauen? Wie kann man vielleicht die Langeweile bekämpfen? Oder die Resignation?

 

Meint ihr z. B., ich soll das Radio einfach mal anstellen, auch wenn er eigentlich sagt, er möchte nicht? Oder soll ich einfach ein Bild seiner Enkeltochter aufhängen, auch wenn er sagt Nein?

 

Habt ihr vielleicht noch Ideen, wie ich mit ihm kommunizieren kann?

 

Ich muss eigentlich auch mit ihm klären, was ist, falls jetzt noch einmal Komplikationen auftreten. Will er z.B. eine Wiederbelebung oder eine Behandlung mit Antibiotikum, oder will er in diesem Fall dann lieber sterben. Aber das kann ich ihn doch nicht so einfach fragen, oder? Vielleicht hat auch hier jemand von euch Erfahrungswerte, die er mir mitteilen könnte.

 

Ich bedanke mich recht herzlich im Voraus. Ich möchte meinem Vater so gerne helfen.

 

LG, Anna

 

 

 

 

 

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