Liebe Katinka,
das hier ..
In der Frühreha wird natürlich auch auf sie geachtet, aber natürlich lange nicht so viel wie auf der Beatmungs- oder Überwachungsstation. Auch wenn ich froh bin, dass sie jetzt mehr Ruhe hat, so ist es für mich wieder eine Phase, die geprägt ist von Unsicherheit. Aber ich arbeite dran... Ging es euch auch so, als ihr bzw. eure Angehörigen nicht mehr so intensiv überwacht wurdet/ wurden?
das kann ich leider nur bestätigen. Mein Mann wurde 3 Tage nach einer riskanten OP am Gehirn in die Reha überliefert. Während des Transports war er immer noch an diesen Tropf mit blutdrucksenkenden Medikamenten und diesem Dauermessgerät angeschlossen weil sie diesen in der Klinik nicht stabil bekommen hatten. Und was passiert in der Reha? Das Ding kommt weg und gemessen wurde 3x am Tag. Die Ergebnisse waren jedes Mal hoher bis extrem hoher Blutdruck. Du wirst Dir vorstellen können was für Gedanken ich mir gemacht habe. Ich war quasi tagelang in Alarmbereitschaft.
Als das endlich - nach Tagen - im Griff war, kamen dann die Harnwegsinfekte dazu. Das liest sich so harmlos, war es aber im Falle meines Mannes nicht. Wie auch immer, ich fand jeden Tag etwas anderes vor. Seit ca. 5 Wochen ist er erstmalig stabil. Es gibt nur noch "harmlose" Überraschungen. Etwas ruhiger bin ich geworden. Ich schlafe wieder etwas besser und länger... Ein Fortschritt für mich. Ich bin aber ziemlich schnell wieder in Alarmbereitschaft sobald etwas vorkommt was auch nur den Hauch von "Risiko" darstellen KÖNNTE. Mit anderen Worten.. von wirklich Entspannung bin ich meilenweit entfernt.
Ich habe gemerkt, dass sie nach dem Schlafen immer viel „klarer“ ist. Sie hat in unserer Gegenwart kaum geschlafen und ich glaube, dass sie sich “gezwungen“ hat, wach zu bleiben. So war sie schon immer.....bloß nicht zeigen, dass sie nicht mehr kann bzw. krank ist. Da zeigt sich auch endlich wieder ein Stück ihrer Persönlichkeit ;-) Wir haben nun beschlossen unsere Besuchszeiten etwas zu reduzieren, damit sie mehr Ruhe hat.
Wenn es euch möglich ist, dann besucht täglich zu etwa der gleichen Zeit. Ich habe bei meinem Mann gemerkt, dass er durchaus ein Zeitgefühl hatte.
Zu Deiner Beruhigung möchte ich noch anmerken, dass diese Müdigkeit weniger werden wird. Bei meinem Mann war die anfangs viel ausgeprägter als bei Deiner Mutter. Inzwischen behaupte ich mal, dass er die meisten Tage mit den Therapien, manchmal mit einem kurzen Mittagsnickerchen gut übersteht. Konzentrationsprobleme hat er aber noch. Mal mehr, mal weniger - aber lange nicht mehr so wie in der Anfangsphase. Ich hatte ja immer die Befürchtung, dass das so bleibt wie am Anfang weil ich von den Ärzten in der Reha nur "abgefertigt" wurde - das war einer der Gründe warum ich hier im Forum gelandet bin. Und das ist einer der Gründe warum ich Dir gerne das wenige weitergebe was ich sagen kann. Es ist furchtbar so in der Luft zu hängen.
Bei meinem Mann ist übrigens ein Teil seiner Persönlichkeit, dass er sich immer alleine durchbeißen möchte. Das hat er auch in der Reha - was ihm mehrere Stürze vor dem Bett beschert hat. Ich hatte eine Heidenangst, dass er sich noch irgend wann etwas bricht weil er - damals noch Rollstuhlfahrer und nicht stabil beim Stehen - auf Teufel komm raus aus eigener Kraft aus dem Rollstuhl ins Bett und umgekehrt kommen wollte und es auch tat (gleichgültig wie krumm er danach im Bett lag) Ich habe gezetert, er hat "gemacht und mich einfach ignoriert". Kannst Du Dir vorstellen, dass man sich mit einem Aphasiker streiten kann? Joah.. das ist möglich. Wir haben das geschafft (oh Mann, was war ich aufgelöst) bis wir irgendwann den Deal hatten, dass er nur noch "macht" wenn ich da bin und ich auch nur zur Sicherheit daneben stehe und nicht unterstütze. Gleichgültig wie lange es dauert und wie anstrengend alles wirkt. Er hat sich durchgebissen und heute geht er am Rollator und (wie damals bei der "Bettübung") marschiert er auch gerne mal ohne Rollator los (was er im Grunde inzwischen kann, aber weil er noch so fürchterlich mit dem geschädigten Bein "schlurft" halt wieder eine Sturzgefahr besteht . soooo stabil ist er dann doch noch nicht, dass er einen Stolperer abfangen könnte - es gab da schon "Kniefälle")
Aber ich "rede und rede von uns".. was ich sagen möchte ist: freu' Dich, dass Du die Persönlichkeit Deiner Mutter sehen kannst. Das ist nicht bei jedem Schlaganfallpatienten der Fall und so wie Du Deine Mutter beschreibst, wird ihr das bei der Bewältigung ihrer Krankheit helfen.
Die Idee mit dem Memory ist super. Ich hatte leider kein richtiges Spiel zur Hand und hab es mit einer App auf dem Tablet versucht. Das eher mit mäßigem Erfolg. Aber mit einem normalem Spiel funktioniert es sicherlich besser und dann kann ich auch die Karten aufgedeckt legen, wie du es liebe Amsel vorgeschlagen hast. Ich habe überlegt ein personalisiertes Spiel anzufertigen mit Fotos von uns, dem Haus, Freunden etc. Aber alles ganz langsam...ich will sie nicht überfordern
Schau mal in die Aufenthaltsräume der Klinik oder später Reha. Da liegen manchmal solche Spiele herum. Falls Du merken solltest, dass ihr das zu viele Bilder sind, dann kannst Du das auch erst einmal auf wenige Paare reduzieren. Und wenn sie darüber einschläft.. was solls.. danach kann man da wieder weitermachen wo man aufgehört hat. Das ist das Schöne daran. Und nicht erschrecken, wenn die ersten Runden sehr sehr lange dauern. Die Apps sind für später eine gute Idee sofern Deine Mutter eine gewisse Affinität dazu hat. Mein Mann mag Technik. Ihn kann ich damit etwas locken obwohl er bisher Tabletts und Smartphone verweigert hatte.. Wie ist es bei Deiner Mutter?
Übrigens hat mein Mann weder mich noch sich auf Fotos erkannt - seine Kinder auch nicht.. Auch nicht in Situationen auf die er noch vor 2 Jahren sehr stolz war. Mich hat das damals sehr erschreckt - aber irgendwann hat sich das dann gegeben. Es gibt zwar noch Namen und Bilder von Leuten mit denen er nicht so viel zu tun hatte und an die er sich partout nicht erinnert. Aber damit kann ich gut leben .. das was wichtig ist, ist wieder präsent. Sollte Deine Mutter also ähnliche Erinnerungslücken aufweisen.. ruhig bleiben.
Die Forderungen an sie stellen leider schon ganz andere. Dauernd bekommen wir die Frage gestellt, ob sie denn mittlerweile klarer ist, laufen kann oder sonstiges. Manchmal habe ich sogar das Gefühl, dass es einigen aus der Verwandschaft „peinlich“ ist, dass sie momentan ein Pflegefall ist. Denn wie die Schwester meines Vaters immer so schön zu sagen pflegt: „Bei uns in der Familie waren sie immer bis ins hohe Alter klar im Kopf.“ Aber vielleicht meinen sie es auch gar nicht so und ich reagiere einfach über.
Man wird nach bzw. in solch einer Situation einfach sehr sensibel.
Die Forderungen stellen sie an Dich, nicht an Deine Mutter. Denn sie hört das ja nicht (zum Glück). Aber ich weiss schon was Du meinst. Ich erzähle meiner Mutter z.B jeden Abend was ich erlebt habe, wenn er heute das eine Wort deutlich gesprochen hat oder vielleicht mal ein kurzer Überraschungssatz aus 4 Wörtern...oder .. oder... und dass es noch sehr lange dauern wird bis mein Mann wieder "richtig" sprechen kann (und ich verkneife mir dann immer die Erweiterung "wenn je überhaupt" denn ich habe durchaus die latente Angst, dass das Problem bestehen bleibt - trotz seiner Fortschritte), und alle paar Tage bekomme ich von meiner Mutter die Frage gestellt, ob mein Mann inzwischen schon besser spricht. Und ja, manchmal kommt da auch zwischen den Zeilen eine gewisse Geringschätzigkeit rüber. Dass ich meinen Mann bewundere, auch und besonders jetzt in dieser Situation, das ist etwas, was sie nicht verstehen kann (sie kann das wirklich nicht).
Oder von guten Bekannten, durchaus gebildet, naturwissenschaftlich nicht ganz unbeleckt, eigentlich empathisch.. da höre ich laufend "aber er muss doch" und "ja warum macht er nicht". Es gab Telefonate, da wurde ich dann irgendwann pampig.
Den Druck bekommen aber wir als Angehörige - nicht der Patient. Der hört das ja zum Glück nicht und diese Leute würde ich auch davon abhalten meinen Angehörigen zu besuchen.
Druck gab es aber auch von den Ärzten und den Therapeuten. Sätze wie "DER schläft ja schon wieder" oder "ihr Mann lässt sich zu leicht ablenken" (das nach einer Woche Therapie) oder "wenn er nicht mit macht, dann ist nach 3 Wochen Schluss" (obwohl man gerade mal 3 Tage Therapie hinter sich hatte und mein Mann sehr wohl mit machte - er verstand die Therapeuten nur nicht bzw. nicht so schnell), oder eine Assistenzärztin, die hinter dem Rücken meines Mannes die Scheibenwischerbewegung ausführte und meinte, die sind hier alle so (weil mein Mann in der ersten Woche - noch leicht verwirrt - aus dem Bett steigen wollte und dabei gestürzt ist). Oder, vom Arzt: "ihr Mann wird ein Schwerstpflegefall".. ebenfalls nach 3 Tagen Therapie. Wenn ich so zurück denke.. der Einzige der das nicht machte war der Logopäde.
Nein, den meisten Druck bekommen die Angehörigen die sich kümmern und versuchen dem Patienten nichts überzustülpen sondern seine Interessen zu wahren - sein Sprachrohr zu sein. Es mag sein, dass es später anders sein wird. In der Akutphase bist aber Du es, die das abfangen und aushalten muss. Und das ist eine zusätzliche und überflüssige Last. (ich merke gerade, wie bei mir beim Schreiben die Empörung hoch steigt. )
Für uns sind die nächsten Ziele: Körperlichen Gesundheitszustand weiter erhalten/ stabilisieren, viel Erholungszeit einräumen und Geduld mitbringen. Und wenn sie es nicht überfordert an der Konzentration arbeiten.
Eine große Aufgabe - besonders die mit der Geduld. Ich muss gestehen - ich habe sie manchmal verloren und mir danach fürchterliche Vorwürfe gemacht und mich geschämt. Sei nachsichtig mit Dir! Überfordere auch Dich nicht. Christoph hat mir hier im Forum am Anfang den Rat gegeben auf meine Belastungsgrenzen zu achten. Recht hat er. Das ist nur leider nicht immer so einfach umsetzbar. Aber wenn es möglich ist, dann denk' auch an Dich und vor allem.. sei gnädig mit Dir und Deiner Unvollkommenheit. (ich versuchs bei mir auch ).
Habt nochmals vielen Dank für eure offenen und ehrlichen Worte. Ich erkenne das wirklich hoch an, wenn ein Angehöriger die Zeit dafür aufbringt oder die selbst betroffenen ihre ganze Konzentration/ Aufmerksamkeit „opfern“. Wirklich toll.....
Einerseits lerne ich auch von Dir. Einige Deiner Gedanken haben mir Anstösse gegeben, andere haben mich bestätigt. Wir haben hier also keine One-Way-Geschichte. Andererseits möchte ich auch ein wenig von dem was mir an Positivem in den schwersten Phasen begegnet ist weitergeben. So funktioniert Leben im positiven Sinn. Und schau.. Deine Frage hat Christoph und Angie dazu gebracht sehr interessante Einblicke zu gewähren und vor allem so, dass man auch als Nichtgeschädigter sich zumindest ein Stück weit einfühlen kann. Das ist ein wertvolles Geschenk was mir tatsächlich in einigen Bereichen einen Schritt in Richtung "Verstehen/Einordnen können" ermöglicht hat.
Mit anderen Worten, ich tue das hier nicht nur aus reiner Nächstenliebe
Schlaf schön
Amsel