#1

Etcetera

Basel, Schweiz

Guten Tag Amsel
 
Du sprichst ein Thema an, das immer wieder auftaucht und unzähligen Menschen schwer zu schaffen macht. Ich hoffe, dass es in Ordnung ist, es hier separat anzusprechen. Das vereinfacht es, wenn weitere Angehörige und Betroffene sich einhängen möchten – was sicherlich sehr interessant wäre.
(Zum Restlichen komme ich gerne im anderen Thread zurück)
 
Du schreibst:
Es gab Phasen da ging er mit mir regelrecht geringschätzig um. Du glaubst gar nicht, wie man das auch ohne viel Worte zum Ausdruck bringen kann. Der Mann, der früher liebevoll und aufmerksam war, der war immer wieder weg - um dann plötzlich wieder die Nase raus zu strecken. Dieses ewige Auf-und Ab machte mich verrückt und es tat verdammt weh.
 
Das ist ein sehr, sehr schwieriges Thema und viele Partnerinnen sind mit diesem schlimmen Problem konfrontiert. Ich meine nichts wertend, beschönigend, schuldzuweisend oder sowas: Wie ich bestimmt früher schon erwähnt habe, ist vielleicht vieles von dem unschönen und in der Seele schmerzende Benehmen nicht das Deines Mannes, sondern das eines Patienten, der nun eben Deinem Mann (äusserlich) sehr ähnlich ist. Das heisst, dass eine gewisse … „emotionale Distanz“ hilfreich sein kann, um all die Sachen besser zu verkraften („nicht an sich heranlassen“). Und natürlich darfst (musst) Du auch traurig, beleidigt, wütend, im Stolz verletzt, emotional und und und sein, denn irgendwie muss deine Seele mit dem ganzen umgehen und vieles das sich anstaut muss raus. Zudem befürchte ich, dass viele Partnerinnen - zumindest unterschwellig - an sich selbst zweifeln und darum mehr „schlucken“ als "nötig" wäre.
 
Und natürlich weiss Dein Mann bestimmt auch, dass er wohl oft daneben liegt und das soll/muss er auch wissen. Trotz seiner (vorübergehenden) „Sozial- und Benehmensbehinderung“ muss er wieder lernen, sich sozialverträglich zu benehmen und wieder lernen, dass man auch in einer langen Beziehung „nichts geschenkt bekommt“. Ich sehe da einen ähnlichen Lern- und Wiederaufbau-Prozess wie bei den anderen Einschränkungen (also wie Gehen, Motorik, Sprache etc.). Erschwerend kommt bei Euch noch seine Sprachbehinderung dazu.
 
Ich für mich weiss, wie schwierig es ist, mich zu beherrschen, die richtigen Worte zu treffen und mich richtig zu verhalten, tolerant zu sein. Wenn’s mal wieder nicht klappt schäme ich mich oft, fühle mich unwohl oder bin einfach nur traurig – und trotzdem kann ich damit nicht umgehen.
 
Liebe Grüsse
Christoph
#2

Amsel

Main-Tauber-Kreis, Deutschland

Hallo Christopher,

ja, natürlich.. das auszulagern ist sinnvoll. Ich habe Deinen Beitrag nur gerade erst jetzt gesehen.

Mein Mann ist übrigens seit Wochen wie verwandelt. Entweder hat das lange Gespräch mit seinem Sohn irgendwie neu einsortiert, oder es war der epileptische Anfall, oder die 2 Wochen im KH in denen ich nicht zu ihm konnte (wegen Corona) und nur per Telefon Kontakt gehalten hatte. Bei meinem ersten Besuch sind nämlich bei ihm die Tränen gelaufen - was bei meinem Mann eher ungewöhnlich ist.

Ich kann also nicht sagen was ihn geändert hat. Nur, dass das der Fall ist.

Die von Dir vorgeschlagene Haltung einzunehmen ist übrigens mindestens genauso heftig wie das beschriebene Benehmen des Partners. Mh.. wie erkläre ich das? … Ich schreibe es mal ganz hart... da stecken aber noch mehr Facetten drin.

Diese Distanz fühlt sich an, als ob man seinen Partner lebendig beerdigt oder gar schon hat. Denn, damit lässt man ihn los und tut so, als ob da nur noch eine Hülle vor einem steht.

Ich konnte das nicht wirklich.

Was mich übrigens hellhörig hat werden lassen ist, dass es auch epileptische Anfälle gibt die die Persönlichkeit verändern und gar nicht als solche wahrgenommen werden. Auch das wäre eine Möglichkeit bei meinem Mann gewesen weil die Veränderungen ja meist so schlagartig erfolgt sind. Das werde ich aber nie wissen.

Die Frage ist auch - wer begleitet dann die/den Angehörigen? Es gibt Trauerbegleitung. Wer begleitet uns? Wer stützt uns? Wer hält uns?

Ich für meinen Teil hatte dadurch immer weniger Kraft - und die fehlt dann wenn man sie weitergeben möchte.

Bei meinem Mann war das übrigens anders als bei Dir, Christopher. Das war nicht einfach nur mal eine Ungerechtigkeit. Das war teilweise pure Ablehnung - um dann irgendwann wieder in tiefe Zuneigung umzuschlagen

#3

Etcetera

Basel, Schweiz

Guten Abend Amsel

Das mag ich Euch allemal gönnen, schön zu hören, dass Dein Gatte „wie verwandelt“ und hoffentlich bald wieder in sein alten Fusstapfen zurückkehrt. Eine grosse Erleichterung und hoffentlich zeigen sich bald weitere und bleibende Fortschritte.

Förderlich für diesen schönen Erfolg kann sich nebst Deiner Engelsgeduld, den Gesprächen mit seinem Sohn und so weiter, auch die zunehmende allgemeine Genesung ausgewirkt haben (= wiedererlangen vorübergehend lahmgelegter Fähigkeiten). Die Priorität beim Heilungsprozess nach einem solchen Vorfall ist, erst die überlebenswichtigen Funktionen zu erhalten und schnell reparieren was es dringendst braucht. Kurz nach einem Schlaganfall sei das Hirn in bestimmten Bereichen extrem lernfähig, fast so, wie das eines Kindes. Und wenn wieder etwas zum Funktionieren kommt, werden die somit frei werdenden Kräfte (aus Sicht des Hirns) für etwas „weniger wichtiges“ eingesetzt. So habe ich es jedenfalls verstanden.

„Diese Distanz fühlt sich an, als ob man seinen Partner lebendig beerdigt oder gar schon hat. Denn, damit lässt man ihn los und tut so, als ob da nur noch eine Hülle vor einem steht.“

Da habe ich mich schlecht ausgedrückt und muss nun schwer nachbessern. Ich hoffe auf Dein Verständnis, ich brauche manchmal Stunden für ein paar Sätze - und dann verunfallen sie trotzdem 😉

Nein, es geht mir um Himmelswillen nicht darum, dass man seinen Lebensgefährten „fallen lässt“ oder sowas, das wäre in der Tat fatal. Ich bin der Meinung, dass in es in einer akuten Situation, also im Moment des Konfliktes/Ärgers/Aggression, durchaus hilfreich sein kann, sein Gegenüber nicht als die vertraute Person zu betrachten, die sie immer war. In solchen Momenten (Moment = vielleicht bis zu ein paar Stunden) kann es durchaus helfen, die Störung, die Krankheit zu sehen, also den Patienten mit seinem Leiden – und nicht den vertrauten und geliebten Menschen. Das kann eine gewisse Distanz zum Konflikt geben, denn der ist wohl meistens irrational und für den/die Partnerin nicht fassbar.

Natürlich geht jeder Mensch mit solch nicht nachvollziehbaren „Katastrophen“ anders um. Daher dachte ich auch, dass sich vielleicht jemand hier einklinkt und seine Meinung und seine Erfahrungen einbringt.

 „…wer begleitet dann die/den Angehörigen?“

Meine Partnerin wurde in der Akutzeit, in der ich in der Intensivstation war, ausführlich informiert. Dabei musste sie allerdings auch Entscheide treffen, die ich infolge vorübergehender Abwesenheit 🙂 nicht fällen konnte. So denke, alleine schon das ist eine gewaltige Belastung.

Danach kam aber nicht mehr viel. Bei uns sind mir/uns nur einige Initiativen auf Basis von Stiftungen, Selbsthilfegruppen und dergleichen, die das Problem erkannt haben und sich für die Angehörigen lobenswert engagieren. Ich bin weiterhin der Meinung, dass Angehörige „qualitativ“ oft durchaus vergleichbar in Mitleidenschaft gezogen werden – einfach mit anderen „Themen“.

Sooo, nun habe ich die Kurve hoffentlich erwischt und wünsche Dir und denen die hier mitlesen einen schönen Abend.

 

Christoph


Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal bearbeitet, zuletzt von »Etcetera« (22.06.2020, 21:45)
#4

Amsel

Main-Tauber-Kreis, Deutschland

Christopher, bitte mach Dir doch keine Gedanken darüber, dass Du Dich falsch ausgedrückt haben könntest. Und Du musst auch gar keine Kurve kriegen ;,-)…. Du hast das nämlich nicht (falsch ausgedrückt) und ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass ich Dich auch nur einmal nicht verstanden haben könnte. An den Stellen an denen es Erklärungsbedarf gab, hätte es das auch bei anderen Menschen geben können.

Nein … ich finde, Du formulierst ganz ausgezeichnet, für mich nachvollziehbar und klar Deine Gedanken! Und für mich sind Deine Beiträge echte Bereicherungen.

Schau.. ich werde allgemein als ein Mensch wahrgenommen der sich gut ausdrücken und gut erklären kann - und dennoch muss ich manchmal noch etwas weiter ausholen, ins Detail gehen.

Besonders wenn es um Gefühle geht hat man das Problem, dass Sender und Empfänger im Verständnis auseinander driften.

Ich hatte übrigens geahnt, dass Du innerlich laut aufjaulen würdest wenn ich das hier schreibe:

Diese Distanz fühlt sich an, als ob man seinen Partner lebendig beerdigt oder gar schon hat. Denn, damit lässt man ihn los und tut so, als ob da nur noch eine Hülle vor einem steht.“ 

Mir fehlten nur (jahaaa, auch das gibt es bei mir) bessere Worte. Ideal ist das nämlich nicht erklärt. Ich fürchte, eher ich habe mich falsch ausgedrückt..

Möglicher Weise hätte es auch ausgereicht zu schreiben, dass es MIR nicht möglich ist mit Gefühl auf Distanz zu gehen. Ich schaff' das nicht. Ich vermute, das liegt aber auch daran, dass mein Mann und ich quasi völlig auf uns alleine gestellt sind und das pure Bedürftigkeit meinerseits ist.

Das hier habe ich genau so auch erlebt: „…wer begleitet dann die/den Angehörigen?“ => Meine Partnerin wurde in der Akutzeit, in der ich in der Intensivstation war, ausführlich informiert. .. Danach kam aber nicht mehr viel

Dank Corona sind leider auch Selbsthilfegruppen o.ä. nicht wirklich nutzbar. Das mag laufen wenn man schon eingebunden ist, was bei mir zwangsläufig noch gar nicht der Fall sein kann. Ich habe aber auch den Eindruck, dass sich die meisten (engagierten) Angehörigen ziemlich alleine und verloren fühlen. Zumindest ist es das, was bei mir in einigen Gesprächen anklang wenn ich auf meinen Mann in den Therapieräumen gewartet habe.

 

@all ….Ich würde es übrigens auch sehr interessant finden wenn andere Angehörige berichten würden wie sie ihre Beziehung inzwischen erleben.

#5

Amsel

Main-Tauber-Kreis, Deutschland

Zudem befürchte ich, dass viele Partnerinnen - zumindest unterschwellig - an sich selbst zweifeln und darum mehr „schlucken“ als "nötig" wäre.

Ich gehe ganz bewusst nicht auf die Patientensicht, sondern nur auf meine als Angehörige ein.

Ich zweifele an mir. Täglich, stündlich.. wieder und wieder. In allen möglichen Situationen.

  • Überfahre ich ihn nicht?
  • Überfordere ich ihn möglicher Weise?
  • Fordere ich ihn richtig?
  • Bleibt genug Raum für Gefühle?
  • Verkomme ich zur Ersatztherapeutin?
  • Bin ich zu empfindlich?
  • Nehme ich mich zu wichtig?
  • Sehe ich in meinem Mann mehr Potential als da ist (z.B. entgegen einiger Therapeuten der Reha - wobei ich bis jetzt mit meiner Sicht richtig lag - aber das ist halt nur ein "Gefühl" einer Laiin)

…… etc. etc...

Und dann noch die klugen Ratschläge vom Umfeld - die, die sich aber alle nen Pups um meinen Mann oder mich kümmern, sondern eher auch noch irgend einen Support erhalten wollen.

Ratschläge wie: Du darfst nicht schimpfen.

und blöd glotzen, wenn mir die Tränen laufen. Man sieht dann regelrecht das innerliche Kopfschütteln.

Oder Ratschläge wie: Du musst auch selbst etwas für Dich tun.

Ja, klar. Als ob es damit getan wäre mal für ein paar Std. shoppen, schwimmen was auch immer zu tun. Man nimmt doch im Kopf mit was einen drückt. Ich jedenfalls. Na ja, und Corona und seine Auswirkungen haben die Sache auch nicht leichter gemacht.

Man kann erst dann wieder etwas für sich tun, wenn man es schafft den Kopf auch mal wieder frei zu bekommen.

Aber auch wenn ich an mir gezweifelt habe und immer wieder - auch jetzt noch - zweifle .. ich bin Egoistin genug um zu sagen, dass ich ein Recht auf Fehler und Irrtümer habe und dass niemand ein Recht dazu hat mit mir auf Dauer geringschätzig umzugehen. Ich bin zum Schlucken nicht der Typ - und deshalb gibt, bzw. gab es dann auch Auseinandersetzungen.

Mich würde aber wirklich interessieren wie andere Angehörige damit umgehen.

 

#6

Marganna

Rheinland, Deutschland

Tja, wie geht man damit um? Ich für mich kann nur sagen es ist ein täglicher Kampf ums Weitermachen. Man fühlt sich so unendlich alleine - und ist es mit der Situation ja auch. Ich bin noch nicht an dem Punkt angekommen zu akzeptieren, dass das jetzt alles vom Leben war. Dazu ständige Nöte und Sorgen, das "Leid" des Partners aushalten müssen, all diese Dinge setzen mir sehr zu und manchmal möchte ich am liebsten Weglaufen. Was natürlich nicht geht, was auch vom Kopf her nicht gehen würde, weil ich ständig denken würde wie geht es meinem Mann. Ich bin auch jemand, der den Kopf beim Shoppen o. ä. nicht frei bekommt, da geht es mir wie dir Amsel. Oder die Fragen der Leute, ob (aber) sonst alles gut wäre bei uns, langsam werde ich da richtig wütend. Nein, es ist nicht gut und es wird auch nicht mehr gut. 

#7

Amsel

Main-Tauber-Kreis, Deutschland

…. Ich für mich kann nur sagen es ist ein täglicher Kampf ums Weitermachen. Man fühlt sich so unendlich alleine - und ist es mit der Situation ja auch.

Ich bin noch nicht an dem Punkt angekommen zu akzeptieren, dass das jetzt alles vom Leben war.

Dazu ständige Nöte und Sorgen, das "Leid" des Partners aushalten müssen, all diese Dinge setzen mir sehr zu und manchmal möchte ich am liebsten Weglaufen. ...

Nein, es ist nicht gut und es wird auch nicht mehr gut. 

Liebe Marganna,

ich hatte Deinen Beitrag nicht vergessen (ich hatte nur mal wieder Land unter) Die oben zitierten Punkte dürfte viele Angehörige umtreiben wie mich ebenfalls ..

.. Du hast das sehr treffend in kurzen Sätzen auf den Punkt gebracht..

Wer diese komplexe Gefühlswelt so auf den Punkt bringen kann, der denkt auch weiter. Und deshalb frage ich Dich vor dem Hintergrund diese Satzes (und dem Wissen, dass wir mit der Krankheit werden leben müssen):

Ich bin noch nicht an dem Punkt angekommen zu akzeptieren, dass das jetzt alles vom Leben war.

Was unternimmst Du bzw. was hast Du bereits versucht, um Dir das Leben wieder lebenswert erscheinen zu lassen? Was würde Dein Leben wieder verschönern? Hast Du Träume?

 

 

#8

Marganna

Rheinland, Deutschland

Hallo Amsel, schön von dir zu hören. Ich hoffe dein Land unter war nur der ganz normale Wahnsinn und keine neuen Schicksalsschläge. 

Was soll bzw. kann ich dir auf deine Frage antworten? Um es direkt ganz ehrlich zu sagen: Schön empfinde ich das Leben z. Zt. nicht. Dieser schlimme Einschlag hat alles so verändert, dass ich mir nicht vorstellen kann, jemals nochmal froh zu werden. Ich sage schon bewusst nicht glücklich. Es gibt Tage an denen laufen die Tränen nur so, einsam und unglücklich trifft es auf den Kopf. Corona zieht mich noch zusätzlich runter, ich weiß nicht ob es dir oder anderen hier auch so geht. 

Was ich unternehme? Ich habe eine Psychotherapie begonnen, allerdings habe ich noch einen sehr weiten Weg vor mir. Ob ich Träume habe? Ja. Aber mir ist bewusst dass diese sich wahrscheinlich nie realisieren lassen. Im Moment mache ich einfach jeden Tag irgendwie weiter. Klar, das Leben geht weiter, die Frage ist nur wie.

Aber wenn du schon so explizit fragst beschäftigst du dich auch damit. Magst du erzählen wie du mit diesen Fragen umgehst? Oder vielleicht möchte sich jemand ins Thema einklinken? 

 

#9

Amsel

Main-Tauber-Kreis, Deutschland

Hallo Marganna,

zum Glück nur der ganz normale Wahnsinn. Zuletzt war's ne verstopfte Toilette die mich auf Trab gehalten und jede Planung über den Haufen geworfen hat.

Ja, einsam und verlassen.... so fühle ich mich auch sehr oft. Aber im Gegensatz zu Dir hat es mir Corona erleichtert damit umzugehen. Es wurde mir weniger bewusst, dass die nicht statt findenden Besuche darauf zurück zu führen sind, dass die Bekannten (die sich mal Freunde nannten) entweder mit den Einschränkungen meines Mannes nicht umgehen können oder wollen. Es fand ja überall reduzierter Kontakt statt. Inzwischen ist das wieder anders.

Dabei würden diese Kontakte meinem Mann gut tun. Ich stelle nämlich bei ihm fest, dass er bei Menschen mit denen er nicht regelmässig Kontakt hat "fremdeld". Er, der quasi ein Mensch war der Kontakte mit leichter Hand knüpfte, er zieht sich in sich selbst zurück. Ich habe ihn unlängst darauf angesprochen und er meinte, es sei ihm bewusst, er wisse aber auch nicht warum das so sei. Ich führe es ein Stück weit darauf zurück, dass wir sehr zurück gezogen leben weil er es nämlich aufgibt wenn die Menschen auf ihn zu gehen und sich davon nicht abschrecken lassen.

Ja, das mit den Tränen, das kenne ich auch. Es gab Phasen da war das weg. Seit dem epileptischen Anfall sind sie wieder verstärkt da. Zum Glück inzwischen kaum noch wegen meines Mannes. Inzwischen sind die Gründe nur noch ..

- Überforderung

- Enttäuschung zwischenmenschlicher Art

- das Gefühl der Sinnlosigkeit

- Angst

- Einsamkeit

- Zorn

Die Frage … war es das alles vom Leben .. die kommt sicherlich ab und zu hoch. Mangels Zeit wird sie allerdings unzulänglich/nicht konsequent beleuchtet. Die Frage schießt eher wie ein Blitz ab und zu hoch und verschwindet dann wieder in der Versenkung. Mir ist aber bewusst, dass sie sich in den nächsten Monaten verstärkt nach vorne drängen wird. Außer den Ansatz Psychotherapie, den ich dank dem Lockdown durch Corona nicht mehr weiter verfolgt habe, ist mir noch nichts weiter eingefallen. Psychotherapie deshalb, weil ich denke, dass ich meinen Blick auf die Dinge ändern muss, wenn ich in der Lage sein möchte unserem Leben wieder mehr positive Erlebnisse abzuringen.

Ich lasse jetzt einfach mal beim Schreiben unsortiert meine Gedanken laufen....

Vor dem Schlaganfall meines Mannes hatte ich immer gesagt, dass in 4 (damals 5) Jahren die große Freiheit beginnen wird. Geplant war etwas früher in Rente zu gehen und dann einfach ohne Zeitdruck leben zu können. Ab und zu Kurzreisen (wir waren beide nie die Langreisenden, genossen aber unsere Wellnessurlaube und Kurzreisen sehr), Zeit für Kultur, Zeit für den Garten, für die Natur (wir leben hier in einer sehr schönen und grünen Gegend) für Literatur, Küche und Zeit für Gespräche mit uns damals lieben Menschen. Ja, da war nichts Großes geplant. Es ging nur noch darum endlich keinen Druck mehr zu haben und das intensiver genießen zu können was wir damals schon hatten...einfach entspannt leben zu können.

Und was habe ich jetzt? Mehr Druck denn je. Kein IT-Großprojekt kann so viel Druck erzeugen wie das was ich seit einem Jahr erlebe.

Tja, damit wäre jetzt ja wohl ein Ziel klar: Druck verringern.

Der Haken dabei ist und war: Jedes Mal wenn ich dachte.. jetzt... jetzt endlich lässt der Druck nach, dann kam eine neue Schweinerei um die Ecke. Langsam beginne ich zu begreifen, dass ich das nur bedingt im Griff habe und das macht mir Angst - weil ich es nicht im Griff habe.

Damit wäre eigentlich da nächste Ziel klar: Los lassen können und mehr in mir selbst ruhen (ich glaube nicht, dass ich das je hin bekommen werde - aber ich habe den Eindruck, dass das mein Mann z.Zt. ganz gut hin bekommt)

Dadurch, dass ich versuche meine Gedanken für Dich nachvollziehbar nieder zu schreiben fällt mir auf, dass meine Traurigkeit, Hilflosigkeit und mein Zorn nicht schwerpunktmässig durch den Schlaganfall entstanden sind. Der war der Auslöser. Der hat einiges ins Rollen und nach Oben gebracht. Dass ich seltener Freude empfinden kann als früher liegt aber nicht daran, dass wir unser Leben anders gestalten werden müssen. Es liegt bei mir mehr daran, dass

a) so gut wie alle "Freunde" und die wenigen Angehörigen weg gebrochen sind - und

b) man quasi dadurch lebt, als ob man nicht mehr in diese Welt gehören

Es ist aber keinesfalls so, dass ich keine Freude mehr erlebe, kein Gefühl des Glücks und der Dankbarkeit. Im Gegenteil.. eigentlich lebe ich auf der emotionalen Ebene intensiver als früher. Momente des Glücks sind intensiver und Dankbarkeit ist tief empfunden. Aber genauso intensiv eben auch Angst, Zorn, Enttäuschung...

Ich habe mir unlängst die Frage gestellt, ob ich wieder gleichmässiger froher/glücklicher wäre, wenn mit einem Schlag sowohl mein Mann als auch meine Mutter (also beides Menschen um die ich mich kümmern muss und die all meine Zeit binden) verstorben wären. Also quasi damit die vermeintlichen Hauptprobleme weg wären. ……. Ich kam zu der Erkenntnis, dass ich keinesfalls froher wäre, wenn es für mich meinen Mann nicht mehr geben würde. Bei meiner Mutter dürfte das anders sein - aber das hat auch eine lange lange Geschichte.

Nein, die Einschränkungen meines Mannes sind nicht die Gründe warum ich das Leben so derartig schwer finde. (ehrlich gesagt bin ich dankbar für diese Erkenntnis). Es liegt eher daran, dass fast mein ganzes Weltbild in sich zusammen bricht. Zwischenmenschlich stehe ich (wir) bei fast Null.

Was mir jetzt durchs Schreiben aufgefallen ist.... ich bin z.Zt. nicht in der Lage langfristige Ziele zu formulieren. Klar.. es soll meinem Mann wieder besser gehen. Je besser um so schöner.. Aber selbst wenn er wieder (fast) der Alte wäre, das was unser Leben erschüttert hat, das wäre immer noch da.

Mh…

Magst Du von Deinen Träumen erzählen? Sehen die konkreter aus als meine?

 

PS: ich sollte vielleicht noch ergänzen, dass sich natürlich innerhalb der letzten Monate Veränderungen bei dieser Fragestellung ergeben haben. Ich kann inzwischen ein klein wenig zuversichtlicher sein, weil sich trotz Rückschlägen erkennbare Besserungen im kognitiven und sprachlichen Bereich zeigen und weil mein Mann kein "Ekelpaket" mehr ist. Letzteres hätte mich wirklich auf lange Sicht daran zweifeln lassen, dass ich/wir wieder so etwas wie ein glückliches Leben haben könnten.

 

 

 

 

 

 

 


Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal bearbeitet, zuletzt von »Amsel« (02.08.2020, 10:15)
#10

Marganna

Rheinland, Deutschland

Der ganz normale Wahnsinn reicht ja auch schon :-(  

Die Gründe für deine Tränen sind auch meine, bei mir kommen noch Hoffnungslosigkeit und Zukunftsängste dazu. Wenn du so gestrickt bis wie ich, wird der Gedanke dass es das war vom Leben auf jeden Fall wieder hochkommen. Ich wäre auch gerne anders und würde sagen okay, es ist so, und nun machen wir das Beste daraus. Aber ich bekomme es nicht hin. Mein Mann, der nie wieder so sein wird bzw. kann wie früher lässt mich verzweifeln. Daraus resultiert dann auch Ärger und Ungeduld ihm gegenüber, was meistens ungerecht und unangebracht ist, allerdings kann ich es nicht abstellen. Das macht uns das Leben zusätzlich schwer. Mir wird immer deutlicher bewusst dass mein Mann eigentlich jemanden verdient hat, der es besser macht wie ich. Weshalb mir das nicht gelingt ist eine lange Geschichte, meine Lebensgeschichte eben. Daran arbeite ich natürlich auch in meiner Therapie, aber die Baustellen sind so vielfältig, ich komme kaum voran. Ich fühle mich in einem Leben gefangen dass ich nicht möchte, aber leben muss. Ich weiß nicht ob du das nachvollziehen kannst und sicherlich gibt es jetzt Aufschreie bei vielen die das lesen, was ich doch für ein schlechter Mensch bin. Das ist mir bewusst, aber ich schreibe es trotzdem, es ist ja auch möglich dass es stille Mitleser gibt die ähnlich empfinden und es sich nicht eingestehen wollen oder so etwas nie öffentlich sagen würden und die sich vielleicht in meiner Geschichte wiederfinden. Wobei es bei mir natürlich aufgrund meiner Vergangenheit sehr extrem ist. 

Auch mir macht extrem zu schaffen dass ich das Schicksal nicht beeinflussen kann und ständig etwas neues obendrauf kommt. Ich dachte eigentlich auch nach langen, schweren Zeiten es wäre endlich Ruhe und so etwas wie Frieden eingekehrt doch dann kam der Schlaganfall und hat alles zerstört von dem ich dachte das wäre meine bzw. unsere Zukunft. Ach ich kann dir gar nicht sagen wie die meisten deiner Textpassagen mir aus der Seele sprechen. Ich fühle mich irgendwie als würde ich orientierungslos im luftleeren Raum treiben, ich denke das entspricht in etwa deiner Formulierung unter Punkt b). 

Der Gedanke ob es mir besser gehen würde wenn mein Mann das nicht überlebt hätte hat sich mir auch schon aufgedrängt. Natürlich wären das auf den ersten Blick weniger Sorgen und Ängste, aber wer weiß was einen dann wieder erwarten würde. Außerdem würde das bedeuten ihm den Tod zu wünschen. Nein, das ist keine Option!!! Das war übrigens auch sehr mutig und ehrlich von dir es hier zu schreiben, auch da wird ein Raunen durch die Menge gegangen sein.

Meine Welt ist auch untergegangen, langfristige Ziele kann man sich in unserer Situation wohl kaum stecken. Besteht bei deinem Mann denn noch Aussicht auf Verbesserung? Bei meinem Mann heißt es seitens der Ärzte immer wieder es kann sich noch einiges tun, momentan hab ich eher das Gefühl es tut sich nichts. Ob es am Wetter liegt, an der Psyche oder sonstwas - ich weiß es nicht. Bedrückend sind für mich die kognitiven Defizite, ist das bei euch auch so oder hat dein Mann da mehr Glück gehabt? Ja, unser Leben wurde auch erschüttert. So wie du es formulierst scheint mir, du weißt auch nicht wirklich wie das Leben unter diesen Umständen überhaupt wieder einigermaßen in normale Bahnen gelangen kann. 

Wie sehen meine Träume aus? Der einzige konkrete Traum den ich habe ist der vom Urlaub am Meer, unbeschwert und sorgenfrei - das wird wohl leider auch für lange Zeit oder noch länger ein Traum bleiben. 

 

 

 

 

 

 

 

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