#1

kurisutian

Hatzenbühl, Deutschland

Hallo zusammen,

ich bin neu hier als Angehöriger, denn seit ca. 2 Wochen ist bei mir nichts mehr wie es war. 

Samstags Nachmittags habe ich die Nachricht erhalten, dass mein Vater (80 Jahre jung und für sein Alter recht fit) einen blutenden Schlaganfall erlitten hat. Da er 1990 schon einmal ein Aneurysma in der linken vorderen Hirnhälfte damals erfolgreich behandelt bekommen hatte, wurde er direkt in das Uni Klinikum nach Homburg verlegt, die ihn damals auch behandelt hatten, da man nicht ausschließen konnte, dass die Blutung daher stammt und man dort entsprechend aufgestellt ist, eine solche OP durchzuführen. Schnell war klar, dass es nicht das Aneurysma war sondern weiter hinten gelegen. So musste in der Nacht entschieden werden, ob hier eine OP noch sinnvoll ist, denn diese würde an dem Zustand auch nichts verbessern, sondern man geht das Risiko ein, dass er danach nicht mehr von der Beatmung los kommen würde. Da ich als sein Sohn auch gleichzeitig Vorsorgebevollmächtigter bin, musste ich eine Entscheidung treffen, welche nach einem langen hin und her gegen die OP viel. Das Risiko bei ausbleibender Besserung war einfach zu hoch. Letztendlich war es die richtige Entscheidung (auch der behandelnde Arzt hat dies im Nachgang nochmal bestätigt), denn es kam zwar zu einer kleinen Nachblutung, die sich aber in einen freien Bereich geschoben hat, so dass weiterer Schaden ausgeblieben war und die Blutung letztendlich stoppte.

Nach ein paar weiteren Tagen wurde mein Vater wieder in das Klinikum aus dem er geschickt wurde zurück gesendet und seit dem liegt er dort auf Normalstation, da gemäß seinem Willen ("lieber Tod als Pflegefall") eine intensivmedizinische Überwachung laut Klinikum nicht sinnvoll wäre, da sie "eh nichts tun dürften". 

Er verfügt seither über keinerlei Schluckreflex und ist weitestgehend rechtsseitig gelähmt (wobei kleinere Bewegungen sich mittlerweile gezeigt haben). Außerdem scheint er kein Sprachverständnis zu haben, lediglich ihm vertraute Personen erkennt er wohl. Seine Vitalwerte, gerade Herz und Lunge, sind gut. Aktuell wird er über die Venen mit Nährstoffen versorgt, da ich bezüglich der PEG in Punkto lebenserhaltenden Maßnahmen (und den Wunsch keine vorzunehmen) sehr unschlüssig bin. Er hat mittlerweile auch eine Lungenentzündung gut überstanden, allerdings ist sein Zustand ein auf und ab. Mal ist er sehr reaktiv, seit 2 Tagen dann aber wieder nur am schlafen und starrt mich recht leer an. An Therapie ist in dem Krankenhaus nicht zu denken, so dass ich ihn vorsorglich für eine Frühreha Phase B angemeldet habe. Auch hier bin ich mir sehr unsicher, ob er das gewollt hätte, lediglich die guten Vitalwerte ließen mich dahingehend entscheiden. Außerdem kann derzeit keiner eine ausreichende Prognose stellen nicht mal eine Wahrscheinlichkeit steht im Raum, was mich weiter verunsichert, ob die Frühreha der richtige Schritt ist. Auch wegen der PEG mache ich mir Gedanken, gerade im Hinblick seinen Wunsch aufrecht zu erhalten, nebst keinen lebenserhaltenden Maßnahmen vorzunehmen auch kein Pflegefall zu sein. Da es noch komplett im Dunkeln ist, ob er jemals einen Status erreicht, mit dem er selbst auch leben könnte, hab ich auch nach Alternativen geschaut, um ihm ggf. seine letzten Tage (was ohne PEG sicher absehbar wäre, ebenso wenn man diese wieder entfernen lässt) angst- und schmerzfrei zu gestalten. 

Allerdings scheint das im Fall eines derart schweren Schlaganfalls aber mit guten Werten nahezu unmöglich zu sein so etwas wie einen Hospizplatz zu bekommen. Da meine Eltern leider beide aufgrund diverser Schicksalsschläge im Leben von einem Minimum an Rente leben und lediglich ihr Wohnhaus als "Sicherheit" haben, welches aber wiederum zu groß ist, steht nicht nur mein Vater mit dem Rücken zur Wand, sondern meine Mutter auch gleich mit. Zu Hause pflegen schafft sie nicht, nicht mal das günstigste Pflegeheim könnten sie sich leisten. Und ich weiß, dass mein Vater auch so nicht leben möchte, allerdings ist das nirgendwo schriftlich festgehalten, sondern nur mehrfach mir und anderen gegenüber geäußert worden. 

Da der Ausgang weiter komplett offen ist und ich ihn nicht mal selbst erreiche (habe es mit Farbkarten, Blinzeln, Symbolen, Buchstaben und Hand drücken versucht, alles ohne Erfolg), weiß ich nicht mehr weiter. Auf der einen Seite hoffe ich, dass die Experten bei der der Früh-Reha etwas bewirken können (er kommt nach Wiesbaden, alle anderen haben entweder auf eine PEG bestanden, oder keine Kapazitäten mehr frei), andererseits will ich ihm am Lebensabend auch das Leid ersparen als Pflegefall dahin zu vegetieren, weshalb ich mich gleichzeitig um einen "Alternativweg" bemühe, so schwer es mir gerade fällt. 

Allerdings komme ich mit der Alternative absolut nicht weiter. Ein Anruf im Hospiz ergab nichts, außer dass er nur ohne Aussicht auf Verbesserung oder Therapiemöglichkeit mit bald endender Lebzeit aufgenommen wird, sonst nicht. Also quasi Krebs oder Demenz im Endstadium. Nun mag es hart klingen, aber ich weiß, dass ihn gehen zu lassen der richtige Weg ist, wenn eine deutliche Besserung ausgeschlossen ist. Meine Angst ist nur, dass man seinen Zustand nur so wenig bessert, dass er selbst essen kann, danach aber nichts mehr geht und er bis ans Ende seiner Tage in seiner eigenen Hölle gefangen ist, wie lange diese auch dauert (was bei den guten Vitalwerten lange dauern kann). Und das ertrage ich nicht, zu wissen, dass das passieren kann, weshalb ich auch eher bereit bin, eine Therapie abzubrechen, wenn sie keine Aussicht auf Erfolg in seinem Sinne hat. 

Nur frage ich mich gerade, was dann? Ein Hospiz nimmt ihn nicht (laut der Info am Telefon) und ich weiß gerade nicht weiter, wie ich ihm ggf den Wunsch kein Pflegefall zu sein erfüllen kann, ohne Schmerzen oder gar Angst. Es quält mich gerade sehr, so hilflos da zu stehen und keinen Ausweg für ihn zu haben, sollte der therapeutische Weg nicht weit genug führen. Und bei all dem, was er in seinem Leben hat mitmachen müssen und jetzt noch der Schlaganfall und die Aussicht in der eigenen Hölle auf Erden gefangen zu sein. Etwas schlimmeres kann ich mir nicht für ihn vorstellen, umso mehr suche ich nach einem Ausweg, entweder in die eine oder in die andere Richtung, aber ich finde keinen. Und das quält mich nun seit über eine Woche jeden Tag und jede Nacht aufs Neue. 

Hat hier jemand ähnliche Erfahrungen oder kennt möglicherweise einen Ausweg? Da man sich in seinen kühnsten Albträumen so etwas nicht mal im Ansatz vorstellen kann, gehen mir gerade die Ideen aus, alles irgendwie noch in seinem Sinne zu steuern ohne sein Wohlergehen (wie auch immer das dann aussieht, je nach dem) aufs Spiel zu setzen. Das hat er nicht verdient. Seither kämpfe ich jeden Tag für ihn, bis ans Limit, nur um einen Weg zu finden. Dazwischen musste ich mich mit dem Sozialen Dienst rumschlagen, die ihn schnellstmöglich raus haben wollten, kleine Versäumnisse bei der Versorgung glattziehen (lassen) und und und... es scheint als bestünde auf jeder Ebene ein Defizit, welches man auf dem Schirm haben muss, ohne jedoch einen Weg zu sehen, wie es weiter gehen soll...

 

Danke für jede Idee und jeden Vorschlag oder auch nur für die Zeit das Dilemma hier durchzulesen. So eine verfahrene Situation wünscht man niemandem, egal wem.

Verzweifelte Grüße

Christian

#2

Mchen

München, Deutschland

Hallo lieber Christian,

zuerst einmal tut es mir sehr leid, dass Deinem Vater das passiert ist. Ich schreibe dir, weil ich mich in einer ähnlichen Situation befunden habe und ebenfalls mit Entscheidungen konfrontiert war, die sehr schwierig waren.

Meiner Mutter hatte Ende Januar dieses Jahres einen schweren Schlaganfall, der dazu führte, dass ihre komplette linke Seite gelähmt war. Sie konnte zunächst auch nicht schlucken und eine Kommunikation war nur schwer möglich, da sich zeitgleich ein Delir entwickelte, was ihren psychischen Zustand sehr tief beeinträchtigte. Am Anfang schwebte sie zwischen Leben und Tod. Sollte sie diesen Schlaganfall überleben, wäre es Schicksal. Ich erkannte sie nicht wieder. Sie erkannte mich zwar, war aber sowohl räumlich als auch zeitlich komplett desorientiert. Während der Erstversorgung im Krankenhaus fing sie sich zur Krönung auch noch Corona ein. Langsam ging es ihr körperlich etwas besser, so dass sie wieder Nahrung selbständig mit rechts zu sich nehmen konnte. Ich setzte große Hoffnungen in die anschließende Reha. Die Ärzte sagten mir immer wieder, dass sich nach einem Schlaganfall vieles noch verbessern könne und man zum jetzigen Zeitpunkt schwer Prognosen treffen könne. Eine Ärztin sagte mir jedoch auch ehrlich, dass es sein könne, dass alles für immer ohne wirkliche Besserung so bliebe.

Leider wurde der Allgemeinzustand meiner Mutter sowohl physisch als auch psychisch während der Zeit in der Früh-Reha Phase B nicht besser. Trotz der Bemühungen der Therapeuten dort konnte sie sich nicht einmal selbständig im Bett von der einen Seite auf die andere drehen. Sie war ein schwerer Pflegefall (vorläufige Einordnung in Pflegegrad 4) ohne wirkliche Aussicht auf Besserung, brauchte für so gut wie jeden Handgriff Hilfe, ein Zustand, von dem ich wusste, dass sie ihn niemals haben wollte, ein Zustand, der für sie keinerlei Lebensqualität mehr bedeutete. Meine Mutter hatte eine Patientenverfügung, in der ich als einziges Kind vorsorgebevollmächtigt wurde. Aufgrund des desolaten psychischen Zustands meiner Mutter und des nicht besser werdenden Delirs musste ich alle Entscheidungen nun für sie treffen.

Essen konnte sie wie gesagt nach kurzer Zeit wieder selbst, da der Schluckreflex zurückkam. Sie entschied sich jedoch dazu, immer weniger zu sich zu nehmen und die Nahrungsaufnahme schlussendlich zu verweigern. Die Ärzte auf Reha begannen nach einem wiederholten Blaseninfekt und einer damit erneuten Zustandsverschlechterung mit einer parenteralen Ernährung über die Vene. Weil diese Ernährungsform wohl nur begrenzt, temporär möglich ist, musste nach zwei Wochen die Entscheidung für oder gegen eine Magensonde getroffen werden. Trotz detaillierter Patientenverfügung und der damit verbundenen Klarheit meinerseits, dass meine Mutter diese Art der lebensverlängernden Maßnahme nicht wollte, machten es mir die Ärzte auf Reha alles andere als leicht. Es fiel sogar die Äußerung, ich würde meine Mutter verhungern lassen, obwohl sie doch mit der rechten Hand Nahrung zu sich hätte nehmen können, dies aber meiner Meinung nach bewusst nicht tat, weil sie nicht mehr wollte.

Nachdem die Entscheidung gegen die Magensonde endgültig gefallen war, wurde meine Mutter auf meinen Wunsch hin von der Reha auf eine Palliativstation angegliedert ans Krankenhaus verlegt. Dort kam man ihrem Wunsch nach, sie ohne eine künstliche Verlängerung ihres Zustands gehen zu lassen und sie starb innerhalb von vier Tagen schmerzfrei, ruhig und in Würde. Rückblickend bin ich heilfroh, dass ihr ein Dahinvegetieren in völliger Abhängigkeit von anderen Menschen ohne Aussicht auf irgendeine Art der Besserung in einer Pflegeeinrichtung erspart geblieben ist. Nachhause hätte sie nicht mehr gekonnt. Auch wenn es die schwerste Entscheidung war, die ich jemals treffen musste, war es für meine Mutter die richtige.

Ich würde dir empfehlen, falls du die Entscheidung gegen das Legen einer PEG bei deinem Vater triffst, dich mit Palliativmedizinern einer Palliativstation bei Euch in Verbindung zu setzen. Eventuell gibt es die Möglichkeit, deinen Vater dorthin zu verlegen, falls ein Hospiz ihn nicht aufnimmt.

Ich wünsche Dir viel Kraft für die kommende Zeit und alles Gute für Deinen Vater.

#3

kurisutian

Hatzenbühl, Deutschland

Vielen Lieben Dank, Mchen

mein herzlichstes Mitgefühl wegen deinem Verlust.

Ja, es ist sehr schwierig gerade. Mein Vater ist jetzt in Früh-Reha seit einer Woche und wird aktuell über die Nasensonde ernährt. Er kann sich leicht mitteilen, so konnte er mir z.B. mitteilen, dass er Bauchschmerzen hat. Das sind kleine Funken Hoffnung, allerdings bemühe ich mich da nicht zu viel rein zu deuten.

Er kann nach wie vor nicht schlucken und ist auch ans Bett gebunden. Konzentration ist wenig da, er muss auch einen Handschuh tragen, da er sich sonst die Nasensonde ziehen würde (was er dennoch auch schon einmal geschafft hat). Ich hatte ihn rasiert, was er sichtlich genossen hat und auch so hab ich das Feedback, dass er sich nicht wehrt, sogar mitmacht bei allem was so passiert. Auf die Seite gelagert zu werden passt ihm so gar nicht, hier legt er sich bisweilen selbst wieder auf den Rücken, was er auch schon schafft.

Diese Woche, soweit wurde mir gesagt, würde man seitens der Einrichtung auch eine erste Prognose wagen. Auch wenn er gerade mit der Ernährung durch die Nasensonde offensichtlich mehr Energie hat, hab ich bezüglich PEG noch immer meine Bedenken. Die Sondennahrung verträgt er gerade nicht so gut (Durchfall), was aber auch daran liegen kann, dass er ja 16 Tage nur über Venen eine Versorgung hatte und dazwischen auch wegen einer Lungenentzündung mit Antibiotika behandelt wurde, was sicher alles nicht so gut für den Darm ist. 

Ansonsten macht er bislang nicht den Eindruck, dass er lieber gehen möchte, allerdings sind Fragen und Co derzeit nur sehr eingeschränkt umsetzbar. Bei vielem scheint er kurz nachzudenken, aber es kommt dann keine Reaktion mehr. Dazwischen versucht er auch immer wieder zu sprechen, allerdings scheint er auch zu vergessen, dass das gerade nicht geht. 

Wie es nun weiter geht weiß ich nach wie vor nicht. Von seinen Werten her ist alles erst mal gut, das heißt für 80 Jahre alles gut. Das macht es auch unheimlich schwer in irgendeine Richtung zu gehen. Ich habe zwar alles was Reanimation und Co angeht ausgeschlossen (noch ein Schicksalsschlag und dann ist da sicher nichts mehr zu machen, dann soll er lieber in Frieden gehen), allerdings befinde ich mich schon in der Grauzone mit der Nasensonde, das ist mir bewusst. 

Noch weiß ich auch nicht, wie viel Chancen man ihm gibt, die Einblutung ist ca. 4,6cm also recht groß. Und dazu die 80 Jahre die er auf dem Buckel hat, das ist bei allen guten Werten sicher auch ein Faktor. 

Alles in Allem hoffe ich, dass ich weiter irgendeinen Zugang zu ihm bekomme, dass ich herausfinden kann, ob er das alles noch will oder nicht. Und dementsprechend gilt es zu handeln. Was mich quält ist, dass ich gerade nichts machen oder auch nur vorbereiten kann, um ihm egal wie der Weg aussieht, das bestmögliche möglich zu machen. Weder will ich ihn aussichtslos quälen um ihn vielleicht in eine schlimmere Lage zu bringen, noch will ich ihn bei so viel "ihm" was da ist einfach so abschreiben...

 

Ich hoffe, dass sich bald ein Weg abzeichnet, um diese Ungewissheit los zu werden und auch den für ihn besten Weg beschreiten zu können...

606 Aufrufe | 3 Beiträge