#1

bienegoldh

Ellingen, Deutschland

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Hallo Ihr Lieben,

vor lange Zeit habe ich mir hier angemeldet. Eigentlich mit dem Beitrag "Hilfe" von "biene..". 

Ich habe mich nun neu registriert, da ich keinen Zugang mehr zum Portal hatte.

Mein Vater (70 Jahre alt) hatte vor 6 Jahren mehrere Schlaganfälle. Er ist halbseitig gelähmt, auf einem Auge blind, auf dem anderen Auge hat er einen Tunnelblick. Er kann nicht sprechen, er hat starke kogniktive Einschränkungen. Es ist mehr als die Hälfte der Gehirnhälfte geschädigt worden. Er hat eine Apraxie. Kann eigentlich nichts alleine. Hat nach wie vor öfter Schluckstörungen, starke chronische Schmerzen, wurde von einer 24/7 Pflege Zuhause gepflegt. Die Pflegesituation Zuhause war meist sehr schwierig. Viele wechselnde Pflegekräfte, da mein Vater absolut nicht einfach war. Er schrie unfassbar viel, hat eigentlich stets jede pflegerische Maßnahme erst einmal verweigert. Bis heute habe ich nie so ganz verstanden, ob es wirklich die chronischen Schmerzen waren (die er unbestritten oft hatte), oder ob es Angst/Panik/Unverständnis ist. Ansonsten fahre ich meinen Vater seit 6 Jahren Samstags und Sonntags an den See, er trinkt sein Bierchen, erfreut sich an seinem Enkelkind. Er ist zeitlich und örtlich orientiert, er kennt uns alle. Außer diese Aktivität (oder anderen Besuchen), ist er zu 100% auf uns angewiesen. Mehr als TV schauen oder eine Zeitschrift ansehen war für ihn selbst nicht drinnen. 

Vor zwei Jahren hat die PAVK zugeschlagen. So, dass eine Zehe am gelähmten Bein amputiert werden musste. Nach 1,5 Jahren im August diesen Jahres war die Wunde endlich verheilt. Alle 3 Tage Verbandswechsel. Sofort im Anschluss musste am gleichen Bein die Großzehe amputiert werden. Die Gefäße waren soweit eigentlich frei, aber die kleinen Gefäße wohl so geschädigt, dass hier nichts mehr zu retten war. Diese OP hat er soweit überstanden. 

Nun am 8. Dez habe ich meinen Vater in das Krankenhaus gefahren. Diagnose: Gefäßverschluss am eigentlich "gesunden" Bein. Das Bein sollte am Oberschenkel amputiert werden. Für mich unfassbar. Aber anscheinend ist der Fuß innerhalb von ein paar Tagen so stark "abgestorben", dass hier keine Rettung der Extremität mehr möglich war. Eine Stentsetzung war nach Meinung der Ärzte nicht hilfreich, da die Gefahr bestanden hätte, dass abgestorbene Gewebe den Blutkreislauf schädigt. 

Mein Papa hat die letzten Jahre schon immer alles gerne verweigert. Jeder Verbandswechsel, jede Tablette, jedes Medikament, jeder Arztbesuch waren für ihn eine Zumutung und nur mit Streiterei verbunden. Die letzten Monate wollte er oftmals gar nicht mehr aufstehen. Ich bin gefühlt 2 Mal die Woche von der Arbeit Nachhause um ihn vor 14 Uhr aus dem Bett zu bekommen, damit er seine Tabletten nimmt. Er hatte die letzten Wochen einen total verschobenen Tag/Nacht Rythmus. So auch im Krankenhaus. Er hat bei jeder pflegerischen Maßnahme geschrien, hat die Tabletten nicht mehr nehmen wollen, war komplett apathisch.

Ich denke, dass es ein wenig zu vergleichen ist mit einer Demenz. Von der ich auch glaube, dass diese mittlerweile eigentlich mit zu den Diagnosen zählt... Er kannte sich gar nicht mehr aus. Alles im Krankenhaus hat ihm Angst gemacht, ihn an die Decke gehen lassen... 

Im Krankenhaus selbst wurde uns dann nahegelegt, bzw. angeboten auch eine palliative Versorgung zu besprechen. Die Ärzte selbst meinten, dass eine Operation eigentlich nur mit einem gerichtlichen Beschluss möglich wäre, da sich jede Behandlung bei ihm wie eine "Vergewaltigung" anfühlen würde. Wir haben einen Psychologen kommen lassen, da wir selbst die Situation absolut nicht mehr einordnen konnten. Der Psychologe meinte, dass zwar dieses "ja" zur Operation irgendwie einen Willen darstellt, ihm aber die Handlunggsebene/Steuerungsebene fehlt. D.h. er versteht nicht, dass die Versorgung danach im Pflegeheim stattfindet (wir waren schon länger auf der Suche und ohne Bein wäre das Zuhause so gar nicht mehr möglich), er versteht nicht, dass die Operation ein Risikoeingriff ist. Das er hierfür Medikamente nehmen muss. Das es das "gesunde" Bein ist. Das er danach nicht so einfach im Rollstuhl sitzen kann. Dass die Verbände gewechselt werden müssen. Alles Dinge, die er nicht mehr nachvollziehen kann. 

Grundsätzlich ist diese Amputation mit einem Mortalitätsrisiko von 10-20% verbunden. Ich habe auch recherchiert, dass oftmals in den ersten 1-3 Jahren Patienten hieran auch versterben. Ich muss dazu sagen, dass mein Vater über die letzten 12 Monate extrem stark abgebaut hat. Er isst fast nichts mehr, trinkt sehr wenig. Im September wog er im Krankenhaus ca 40 Kilo. Mittlerweile dürften es vielleicht noch 35-40 kg sein. D.h. die Voraussetzungen für diese Operation inkl. Narkose sind nicht die besten. Würde Er sich überhaupt hiervon erholen können? Natürlich könnte die Wunde heilen. Aber was ist dann mit dem eigenen schlechten Bein wo bereits amputiert wurde? 

Wir haben uns schwersten Herzens gegen die Amputation entschieden und für die palliative Begleitung. Ich konnte dann zwischen den Feiertagen einen schönen Pflegeplatz mit Top Zimmer für meinen Papa finden. Es kommt der palliative ambulante Dienst bei Bedarf. Er hat ein Morphiumpflaster.

Und kaum ist er aus dem Krankenhaus draußen, darf ich ihn wieder anfassen. Wir machen Ausflüge zum See. Wir gehen raus. Er kann auch wieder ein wenig lachen. 

Und genau das, macht es mir so unfassbar schwer. Ich liebe meinen Papa über alles. Ich war seit dem ich 24 bin für die Pflege verantwortlich. Ich möchte ihn nicht loslassen. Ich merke gerade, dass er Angst hat. Er wird sterben. In ein paar Tagen, in ein paar Wochen. An einer Sepsis, die nicht mehr aufzuhalten ist .... außer durch eine Operation. 

Am liebsten würde ich ihn sofort ins Krankenhaus fahren um ihn operieren zu lassen. 

Aber was ist, wenn er die Operation nicht übersteht?

Was ist, wenn das zweite Bein dann auch noch abgenommen werden muss?

Was ist, wenn er am Schluss sediert und fixiert im Krankenhaus liegt, weil gar nichts mehr möglich ist?

Wenn ich ihn anschließend zu der vernünftigen Versorgung "zwingen" muss, weil er selbst nicht erkennt, was "gut" für ihn ist? 

Das er anschließend auch noch künstlich ernährt werden muss, weil der Körper sonst nicht zu Kräften kommt? 

Mein Papa von früher hätte NIEMALS dieser Operation zugestimmt. "Jetzt noch ein Bein abschneiden, dann vielleicht in ein paar Monaten das zweite... - seit ihr bescheuert?" Das wäre wahrscheinlich seine Aussage gewesen.

Das Bein zu amputieren würde seine jetzige Situation ja nicht verbessern, sondern seine Qualen verlängern... bis vielleicht das wirklich schlechte Bein weg muss. Er ohne Beine und mit allen genannten Einschränkungen nur noch die Krankenhausdecke ansieht. Ein Leben welches mein Vater niemals wollte und nie gewollt hätte.

Aber es tut so unfassbar weh. 

Ich habe das Gefühl ich habe versagt. Auf ganzer Länge. Das er in den letzten Wochen und Monaten schlechter geschlafen hat, dass er auf dem Bein nicht mehr richtig stehen konnte. Dass das Clopidogrel (nahm nur noch Lixiana) abgesetzt wurde, weil er immer so extreme Blutungen hatte. Das ich nicht gecheckt habe, was sich hier anbahnt. 

Er hat immer nur mir vertraut. Er hat sich auf mich verlassen. Mein Leben lag ihn seinen Händen. Und jetzt wird er sterben, weil ich nicht fähig war zu erkennen, dass ihm dieses verflixte Bein weh tut. 

Ich weiß, dass ich kein Arzt bin. Ich weiß, dass ich wirklich viel für meinen Papa getan hab. Eigentlich habe ich mein gesamtes Leben seit 6 Jahren hinten angestellt um nur für ihn da zu sein. Aber ich habe das Medizinische übersehen. Wäre das bei einer rechtzeitigen Verlegung in ein Pflegeheim vielleicht alles gar nicht passiert? Hätten die gemerkt was Sache ist? Hätten sie ihm rechtzeitig künstliche Ernährung verschafft - wäre das dann gar nicht passiert? 

Das sind alles Fragen die ich mir stelle. 

Es tut mir so weh ihn nun so zu sehen. Er hat Angst. Er will eigentlich nicht gehen. Mache ich einen Fehler? Alle Bekannten, Wegbegleiter, besten Freunde, sagen, dass es das Richtige ist. Aber ich habe einfach nur Angst jetzt auch noch die falsche Entscheidung zu treffen. 

Es geht mir so furchtbar schlecht. Es geht meinem Papa furchtbar schlecht. Es zerreisst mir das Herz. 

Liebe Grüße

Biene 

 

 

 

 

 

#2

Annin

Bayern, Deutschland

Liebe Biene,

du hast trotz deinem großen Schmerz hier alles so gut sortiert beschrieben, dass du sicher nur durch deine gute Organisation es überhaupt schaffst, diese Situation durchzustehen.

Ganz, ganz sicher hast du durch dein Verhalten und deine Zuneigung zu deinem Vater ihm schöne Momente beschert, die er durch eine andere Pflege niemals mehr gehabt hätte. Du hast ihm gemeinsame Zeit geschenkt und eure Ausflüge hören sich sehr schön an.

Wenn man hier oder andernorts quer liest, passieren in Krankenhäusern und Pflegeheimen soo viele Fehler.. im eigenen Umfeld kenne ich allein schon zwei Fälle, bei denen die Thrombose oder die Sepsis durch Angehörige bei einem Besuch und zufälligem Blick auf die Beine entdeckt wurden.

Ich fühle mich gerade beim Bein auch berührt, weil bei einem Familienmitglied auch das Bein wegen einer Sepsis amputiert werden musste. Durch eine bereits vorangegangene Operation und eine ohnehin beginnende Demenz befand sich die bis dahin selbstständige, aber fast 80 jährige Person dann nach der Operation im Delir und wachte nur noch einmal kurz auf. Vom amputierten Bein nahm sie nicht mehr Notiz und verstarb.

Es war damals die Sepsis schon vorangeschritten und der Tod stand schon bevor, daher wurde die OP als lebensrettende Maßnahme durchgeführt. 

Die Entscheidung wurde später von vielen Familienmitgliedern kritisiert: "Warum musste man denn da noch das Bein -vorher- abnehmen?!" 

Bei deinem Vater ist es noch nicht soweit mit der Sepsis und du kannst sozusagen in einer nicht ganz so akuten Situation entscheiden. Es tut mir leid, dass du in dieser Situation bist.

Deine Schilderung ist absolut nachvollziehbar und ich denke auch, dass du alles richtig entscheidest. Die Frage, ob die Hirnfunktionen durch die OP noch weiter eingeschränkt werden, ist auch völlig berechtigt.

Vielleicht kannst du dir professionelle Hilfe holen, die auch dich begleitet? 

Ich bewundere deine Stärke und dass du so viel für deinen Vater geschafft hast! Unabhängig von deiner Entscheidung kann euch das niemand nehmen.

#3

Annin

Bayern, Deutschland

Ich habe deinen Text nochmal gelesen.

Im Falle einer Operation wird so viel mehr so ablaufen, wie es dein Vater nicht hätte haben wollen und jetzt auch entsprechend seiner Abwehr weiterhin nicht haben wollen würde. Und wie sollte es auch weitergehen? Sollen alle paar Monate weitere Operationen durchgeführt werden? 
Es fühlt sich für dich - und sogar für mich bei diesen Zeilen - hart an, aber keine Operation ist eine Entscheidung dafür, deinen Vater im aktuell bestmöglichen Zustand zu begleiten.

Es ist viel leichter gesagt, aber lebt die Zeit, die bleibt miteinander. Und suche dir professionelle Hilfe. Bzw. wird es die evtl in der Palliativversorgung geben.

 

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