Hallo an Alle,
in der Nacht von 1. auf 2. Januar 2010 hatte ich eine Hirnblutung aufgrund des Blutaustritts eines im Kopf links-hinten sitzenden Blutschwamms, der im Durchmesser ca. 3 cm groß ist. Dass man sich die Lokation vorstellen kann: er liegt in der Nähe des Seh- und Bewegungszentrums, also ganz in der Nähe des Kleinhirns. Ich war damals 21 Jahre alt.
Es passierte nach einer längeren Silvesternacht am Folgeabend. Ich kam von Freunden heim, was damals noch bei meinen Eltern war, und lag noch etwas auf der Couch, um fernzusehen. Ich weiß nicht, ob es aufgrund dessen oder ob es auch einfach so passiert wäre, jedenfalls lag ich auf dem Rücken auf der Couch mit stark abgenicktem Kopf. Als ich keine Lust mehr hatte, stand ich relativ zügig auf. Plötzlich verspürte ich ein Knackgeräusch im Kopf/Nackenbereich- ich kann es nicht genau lokalisieren. Gleich danach lief es mir warm, vom Genick ausgehend, den Rücken herunter. Ich dachte erst, „ok, etwas komisch gelegen- das Gefühl wird schon wieder verschwinden“, und ging ins Bett. Nach ein paar Minuten, nachdem ich im Bett war, ging ich zu meiner Mutter, die Krankenschwester war. Ich teilte ihr meine Beschwerden der Kopfschmerzen mit, die nun von Minute zu Minute größer wurden. Ihr wacher Geist sagte ihr, dass ich keine Kopfschmerztabletten nehmen sollte (blutverdünnend!), gab mir einen kalten Waschlappen und ich lag mich wieder hin.
Keine 10 Minuten später saßen wir im Auto in Richtung Krankenhaus Eggenfelden, da die Schmerzen immer größer geworden sind und auf der 6 km kurzen Fahrt ihr Maximum erreichten. Im Krankhaus angekommen bekam ich erst mal eine schöne Ladung Schmerzmittel, um die Schmerzen besser aushalten zu können und übergab mich mehrmals bei Abnicken des Kopfes. Diese waren Anzeichen einer Hirnblutung, die dann auf den CT-Bildern deutlich zu sehen waren. Laut Ärzten hatte ich unglaubliches Glück, dass die Blutung des Blutschwamms von alleine gestoppt hat.
Nächste Station war Deggendorf, wo ich in die Neurochirurgische Klinik überwiesen und behandelt wurde. Man machte bei mir eine sogenannte „Interventionelle Therapie“, d.h. man stach bei meiner Leiste mit einer dünnen Sonde ein und ging über diese Hauptschlagader durch den ganzen Körper in den Hals und in den Kopf, ging da in die betroffenen Bereiche des Blutschwamms und sandte einen sogenannten Onyx-Kleber aus, der sich den Weg genau zu den Gefäßen sucht, deren Blutzufuhr abgeschaltet werden sollte. In meinem Fall hatte man 60 – 70 % der betroffenen Gefäße „ausschalten“ können. Die Therapie, in der mein Körper mit einem Mittel, das die 30-fache Dosis von Morphium hatte, absolut bewegungsunfähig gemacht wurde, wurde am 3. Januar durchgeführt. Somit bestand bei mir aber immer noch ein erhöhtes Risiko einer weiteren Blutung. Deswegen wurde angesprochene Therapie ein zweites Mal wiederholt. Diesmal jedoch mit keinem Erfolg, da die Gefäße im Gehirn sich laufend verändern und sie dieses Mal nicht günstig lagen und der behandelnde Arzt deshalb ein zu hohes Risiko eingehen hätte müssen, dem Gehirn mehr zu schaden als zu helfen. Risikoreich war diese Methode ohnehin. Außerdem war ich Tage danach noch immer benommen. Mein Körper und Geist mussten einfach mit der hohen Belastung zurechtkommen. Aber es war immer noch besser, als die Alternative: eine offene Operation, um den Blutschwamm zu entfernen- die wollte ich auf keinen Fall! Das stand fest!
Im Juni 2010 (direkt nach dem zweiten Eingriff) tat sich für mich eine weitere Option zur Behandlung auf: eine Bestrahlung in der Cyberknife-Klinik in München. Eine solche veranlasste ich noch im gleichen Monat und war glücklich über die Aussage der Ärzte, da man den Heilungsprozess wohl auf den MRT-Bildern oft erst nach ein paar Jahren wahrnehmen kann. Da im August 2013 immer noch keine Heilung- es wurden sichtlich noch genauso viele Gefäße mit Blut gespeist wie im Juni 2010- auf den MRT-Bildern zu sehen war, wiederholte ich nach mehrwöchigem Hin und Her mit mehreren Ärzten, bei denen jeder eine andere Meinung parat hatte, die Cyberknife-Bestrahlung.
Im Januar 2018 zeigte die Behandlung, die bereits vorher auf mikroskopischer Ebene heilt, endlich auch auf den Bildern seine Wirkung. Es waren so gut wie alle Gefäße von der Blutzufuhr abgetrennt. Somit habe ich quasi das Risiko auf das Minimum reduziert und konnte gesund weiterleben.
Da dieser ganz Ärztemarathon, Behandlungen, Unsicherheit, Unwissenheit und die Krankenhausaufenthaltet wohl nicht mal einfach so an einem vorbeigehen können, das kann man dann sehr gut vorstellen, wenn man das selbst erlebt hat. Meine Gefühle fuhren die ganzen Jahre über Achterbahn, vor allem die Entscheidung 2013, ob ich mich nochmal bestrahlen oder doch ein drittes Mal die „Interventionelle Therapie“ mit den Risiken über mich ergehen lassen sollte.
Die Hirnblutung von 2010 beschäftigt mich bis zum heutigen Tag. Ich habe es mir zur Lebensaufgabe genommen, jeden Tag zu leben wie er kommt und nicht an morgen oder gestern zu denken. Dies sind Dinge, die kann kein Mensch beeinflussen. Nur im Hier und Jetzt hat man die Möglichkeit zu handeln oder nicht zu handeln- und vor allem Dinge zu genießen, die man vorher nie bemerkt hätte. Gerade wenn man nicht-handelt (Prinzip des „Wu-Wie“ im Daoismus) und doch das Tagwerk vollbringt, d.h. das natürliche Geschehen nicht stört, hat man Glück, dass man im alltäglichen Leben erfährt. Erst seit dem ersten Lockdown im März dieses Jahres beschäftige ich mich intensiv mit dem Daoismus und dem Buddhismus und mache jeden Tag Thai Chi. Denn nur mit Arbeit kann ich mir mein Leben erfüllen und damit meine ich nicht nur das tägliche professionelle Tagwerk, sondern auch das Training (Thai Chi, Kung Fu und Qigong), dass ich seit März täglich ausführe. Diese Einsicht kommt zwar spät (nach 10 Jahren) und ist an den Entwicklungsprozess gebunden, in dem ich mich befinde und der mir erst seit ein paar Jahren bewusst ist, aber das ist immer noch besser als ob die Einsicht nie gekommen wäre. Alles zu seiner Zeit.
Ich habe 2013 mein Bauingenieursstudium an der TU München abgeschlossen, bevor es nach einer halbjährigen Weltreise weiter an die TU Berlin ging, um meinen Master 2018 abzuschließen. Darin war ich ein Jahr im Auslandsstudium in Chile, lernte Spanisch und kann nun neben Englisch eine zweite Fremdsprache sprechen, verstehen und schreiben. 2018 zog ich nach Dornbirn/Vorarlberg, wo ich seitdem lebe und versuche, mein eigenes Geschäft mit Tiny Houses aufzubauen. Demnächst steht die Entscheidung an, nach Wien zu meiner russischen Freundin zu ziehen. Derzeit lerne ich außerdem Russisch.
Das alles konnte ich nur machen, weil ich immer ein gutes Umfeld hatte und sehr liebevolle Eltern, einen Bruder mit seiner Familie und nicht zu vergessen meine gutmütige Oma, die von meinen Großeltern noch alleinig lebt. Das war nicht immer so leicht zu verstehen. Ich hatte oft das Gefühl, alles selbst machen zu müssen, da ich anfangs nicht gesehen habe, dass meine Familie immer für mich da war und für mich da ist.
Ich möchte mich bei meinen Angehörigen bedanken. Ohne sie hätte ich das nie so gemeistert. Im Speziellen waren die langen Spaziergänge mit meiner Mutter unmittelbar und das erste Jahr danach sehr wichtig für mich. Eigentlich will ich aber nichts Spezielles hervorheben. Jeder Einzelne weiß, was er für mich getan hat; ich weiß es auch…und ich bin erfüllt von Dankbarkeit.
Ich will diesen Blogg-Eintrag mit einem Zitat abschließen, dass insbesondere für mich und mein Leben große Bedeutung hat, ohne nennen zu müssen, warum: