Hallo,
kurz zur Vorgeschichte: Mein Vater (Ende 70) hatte vor zwei Jahren einen Schlaganfall aufgrund einer bluthochdruckbedingten Hirnblutung. Am Anfang war er rechtsseitig gelähmt und konnte nicht sprechen und nicht schlucken. Seitdem hat er kontinuierliche Fortschritte gemacht, kann wieder sprechen und essen und bewegt sich im Haus und kurze Strecken außer Haus sogar ohne Hilfsmittel, ansonsten mit Gehstock oder Rollator. Die Feinkoordination des rechten Beines und vor allem des rechten Armes ist allerdings mittelgradig bis stark eingeschränkt.
Autofahren war in den ersten Monaten nach dem Schlaganfall natürlich kein Thema für meinen Vater. Seine behandelnde Neurologin hat ihm aufgrund seiner Fortschritte in dieser Hinsicht allerdings Mut gemacht. Vor ein paar Monate hat sie die gleiche neurologische Untersuchung mit ihm gemacht, die man wohl für Gutachten für die Führerscheinstelle durchführt, und sie hatte keine Bedenken, dass er mit einem entsprechend umgebauten Auto fahren kann. Für meinen Vater war das eine große Motivation und er hatte geplant, im Herbst wieder mit dem Fahren zu beginnen. Wir wären an dieser Stelle nie auf die Idee gekommen, dass er für das Fahren irgendwelche Gutachten benötigt. Er hat schließlich einen Führerschein, ist ein sehr erfahrender Autofahrer und seit Jahrzehnten unfallfrei. Zudem hatte kein Arzt irgendetwas davon erwähnt, dass er möglicherweise nicht mehr selber fahren dürfe.
Im Vorfeld wollte sich mein Vater in einem Autohaus über ein umgebautes Fahrzeug erkundigen. Dort wurde ihm gesagt, er solle zuerst zur Fahrschule gehen. Die Fahrschule wiederum sagte, er müsse zuerst mit der Führerscheinstelle Kontakt aufnehmen und ggf. ein Gutachten vorlegen. Also haben wir das Amt kontaktiert. Die Leiterin war jedoch im Urlaub und die Vertreterin erklärte, mein Vater solle einfach fahren, sie würde sich auch keine Notizen von unserem Anruf machen, denn diese ganze Gutachten-Geschichte wäre ein sehr hoher Aufwand. Leider hörten wir nicht auf die Mitarbeiterin der Behörde und fragten bei der Amtsleiterin nach deren Urlaub noch mal nach. Und hier wurde nun eine von uns in dieser Form und Schnelle gar nicht gewollte Maschinerie in Gang gesetzt.
Aus unserer unverbindlich gedachten Anfrage, was wir theoretisch vor dem Erwerb eines umgebauten Fahrzeugs unternehmen müssen, wurde ein offizielles Schreiben der Behörde. Das besagte, dass mein Vater innerhalb von drei Monaten ein neurologisches Gutachten vorlegen müsse, dass die Fahrtauglichkeit bescheinige. Andernfalls würde ihm auf seine Kosten der Führerschein entzogen. Wir waren geschockt. Vor dem Herbst hatte mein Vater das Fahren nicht angehen wollen, da er wie er selbst sagt merke, wie sich sein Zustand weiter verbessere. Und nun war er sozusagen gezwungen, ungewollt alles übers Knie zu brechen, um seinen Führerschein nicht zu verlieren.
Die Auswahl an Gutachtern wurde von der Behörde vorgegeben. Seine behandelnde Neurologin, selbst zugelassen für entsprechende Gutachten, durfte er ausdrücklich nicht wählen. Leider stellte sich die aus der Liste der Behörde von uns aufs Gradewohl ausgesuchte Neurologin nicht als beste Wahl heraus. Der Umgang mit uns erfolgte von Anfang an von ihr sehr von oben herab und ohne spürbare Empathie. Die Gutachterin gab meinem Vater vor, ein EEG machen zu lassen. Dass er ein gerade einen Monat altes EEG hatte interessierte die Dame nicht. Weiter schickte sie ihn zur MPU. Das würde sie bei Patienten, die eine Hirnblutung hatten, immer so machen. Sie gab ihm noch mit auf den Weg, dass die MPU sehr schwer wäre und dass er sich hierbei über Stunden konzentrieren müsste.
Die MPU umfasste dann geschlagene 2 ½ Stunden verschiedene Tests am Bildschirm. Für meinen Vater nicht einfach, da er als Rechtshänder die Tests, bei denen es ganz viel auf Schnelligkeit und Reaktionsvermögen ankommt, mit der linken Hand an der Maus absolvieren muss. Dann gab es sogar Tests, bei denen er mit seinem kranken rechten Fuß ein Fußpedal bedienen musste. Faire Testbedingungen fanden wir das wahrlich nicht. Er will schließlich nicht mit den rechten Extremitäten ein Fahrzeug bedienen. Obwohl ihm eine Pause zugestanden hätte zog mein Vater die volle Testzeit von 2 ½ Stunden ohne Unterbrechung durch. Hut ab. Ich hätte diese Tests nicht machen wollen.
Nun erhielten wir das schriftliche Gutachten. Die MPU umfasste fünf verschiedene Testbereiche. Bei zwei davon schnitt mein Vater überdurchschnittlich ab, bei einem durchschnittlich und bei zwei unterdurchschnittlich. Ihm wurde ein sehr heterogenes Testergebnis bescheinigt. Der Psychologe kam zu dem Ergebnis, dass sich nicht alle Einschränkungen untereinander komplett kompensieren ließen, aber mit entsprechenden Auflagen (er darf nur im bekannten Umfeld fahren und muss eine Fahrprobe ablegen) wäre es machbar. Die langjährige Fahrpraxis oder die Schwierigkeit, alle Tests mit der linken Hand absolvieren zu müssen, flossen übrigens bei der Auswertung nirgends erkennbar ein.
Die Neurologin, die das Gesamtgutachten erstellen musste, sah das anders wie der Psychologe. Da laut Testergebnis Einschränkungen bestehen würden, würde sie die Fahrerlaubnis untersagen. So, und nun stehen wir da. Damit hatte mein Vater überhaupt nicht gerechnet. Sein Ziel, das ihn stark motiviert hat, war ab Herbst wieder mit dem Fahren zu beginnen. Endlich den Bewegungsradius erhöhen. Endlich die Familie von den Fahrdiensten zu den mehrmals wöchentlich stattfindenden Therapien entlasten. Endlich wieder Freunde besuchen können. Und nun ist das alles auf einen Schlag zusammengebrochen. Ein Ziel, das einen motiviert hat und einem Kraft und Sinn gegeben hat, ist einfach weg. Und für dieses Gutachten, das so vieles zu zerstören droht, haben wir rund 500,- Euro ausgegeben.
Habt Ihr Tipps, was man in dieser Situation vorgehen kann? Kann man das Gutachten anfechten? Oder macht es Sinn, einfach bei einem anderen Neurologen ein Gutachten in Auftrag zu geben? Der Behörde musste leider der Name des Gutachters gemeldet werden, so dass dieser aktenkundig ist. Es dürfte daher schwierig sein, das negative Gutachten einfach unter dem Tisch verschwinden zu lassen. Und wie kann man helfen, nach so einer Hiobsbotschaft, wie mein Vater sie bezeichnet hat, nicht in einem dunklen Loch zu versinken, den Mut zu verlieren und stattdessen wieder Motivation für die Zukunft zu finden?
Vielen Dank fürs Lesen des langen Textes und für jede Idee und Hilfe