Hallo Christoph,
man möchte es nicht sehen, das Problem der Angehörigen. Schon gar nicht in Politik und dem medizinischen Bereich. Denn dann müsste man etwas tun und das würde Geld kosten. Wenn ich mir die sogenannten Entlastungsangebote für Angehörige anschaue, dann kosten die den Angehörigen oft mehr Zeit und Energie als Nutzen/Entlastung gegeben wäre. Und das macht mich inzwischen zornig.
Bei den Selbsthilfegruppen muss man Glück haben - sehr viel Glück. Aber ich denke, man sollte das immer mal wieder probieren bis man etwas passendes gefunden hat.
Die Therapeuten sind zu einem nicht unerheblichen Teil mit der eigenen Existenzsicherung beschäftigt. Und einige bekommen den Rachen nicht voll - denen geht es weniger um den Menschen. Das mag Selbstschutz sein, macht es aber für Betroffene nicht besser
Sozial/Pflegedienste: die sind schneller raus aus der Wohnung als drin. Ich habe das bei meinem Nachbarn miterlebt und dann einige Jahre später bei meiner Mutter. Das sind auch nur Getriebene und wenn man den Abrechnungskatalog anschaut, dann weiß man warum. Abgesehen davon, dass sie bei meinem Mann und mir keine Hilfe gewesen wären. Wir haben andere Probleme.
Die Sozialdienste der Uniklinik, der örtlichen Klinik als auch die der Reha habe ich nicht so erlebt, dass es darum geht dem Patienten oder Angehörigen zu helfen. Da geht es darum den Patienten schnellst möglich wieder aus der Klinik raus zu bekommen - und das mit möglichst wenig eigenem Aufwand. Nein, auch da habe ich keine guten Erfahrungen gesammelt. Es lief immer nur dann etwas, wenn ich Druck gemacht habe.
Und was die Hausärzte angeht, die eigentlich auch auf den Angehörigen schauen sollten.. nun ja. Ich habe seit über einem Jahr extreme Probleme mit meinem rechten Bein. Inzwischen ist klar, es liegt nicht an Verschleiß oder anderen Knochenschäden, es sind die Muskeln/Faszien die am kompletten Rücken verhärtet sind und sich eben so auswirken, dass mir bei den unterschiedlichsten Bewegungen Stiche ins Bein fahren. Der einzige Rat den man erhält sind: Übungen machen. Dass ich die seit vielen Monate mache wird mit einem Schulterzucken abgetan. Und eine Krankmeldung bekommt man nur dann, wenn man direkt danach fragt und dann auch nur für wenige Tage - und dem Blick ist zu entnehmen, dass er es ja eigentlich für etwas überzogen hält. Dass mein Job diese Rückenprobleme begünstigt - ah.. Nebensache. Dass der Rat "Bewegung" eher ein Witz ist, da ich im Grunde für 2 Laufe und auf jeden Fall mehr als ich das noch vor 5 Jahren getan habe... Schulterzucken. Manchmal denke ich, da möchte einer das Problem nicht zu sehr an sich rann lassen. Aber ja, den Rat meinen Mann in die Tagespflege zu geben, den bekomme ich. Der kostet auch nichts und wirkt sich nicht aufs Budget aus. Dass mein Mann schon alleine beim Gedanken daran Panik bekommt... ah, ach was.. er soll sich nicht so anstellen. Dass er in die Seniorenrunde mit Sitzkreis und Gymnastik im Sitzen gar nicht rein passen würde - unerheblich.
Letztlich bleibt m.E. nur: Freiräume schaffen und in unserem Fall dieses Forum hier. Durch dieses Forum haben sich für mich wertvolle persönliche Kontakte ergeben. Und mir tut es auch gut hier ab und zu das "Kind beim Namen nennen zu dürfen" ohne dass man mich gleich als Überempfindlich und nicht belastbar hinstellt.
Langeweile und Rente: Der Ruhestand wird zumindest etwas Druck raus nehmen. Da ich, seitdem mein Mann zu Hause ist, im Homeoffice arbeiten (kann/darf) bricht da an zwischenmenschlichem Kontakt wenig weg. Die inzwischen fast 5 Jahre Homeoffice haben schon jetzt dazu geführt, dass ich im Team mehr oder weniger außen vor bin. Das liegt in der Natur der Sache. Ich hoffe vielmehr etwas Zeit zu haben um entweder über eine Sportgruppe oder VHS einen wöchentlichen regelmässigen Termin etablieren zu können. Im Moment mache 1x/Woche Rehasport. Der bringt zwar nichts in Bezug auf meine Muskelverhärtungen, aber ich gehe dennoch gerne hin. Einfach weil es eine nette Truppe ist und weil ich so manche Übung, weil schmerzhaft, zu Hause sicher nicht durchführen würde. In der Tat: 1x/Woche ein anderes Thema zu haben - in diesem Fall Sport - und eine Gruppe mit viel Humor und Lachen, das ist etwas was mir seit einem Jahr wirklich gut tut und was ich nur im äußersten Notfall versäume.
Komplimente: Ja, von diesem Erlebnis zehre ich - u.a. das hat ich in den ersten Monaten, als mein Mann tatsächlich zu einem wirklichen Ekel mutierte, ein Stück weit getragen. Das Erlebnis war zwar eines aus der Zeit noch vor dem Schlaganfall, aber ja, inzwischen bekommen wir ab und zu ähnliches Feedback. Wir werden als Paar wahrgenommen das sich wichtig ist - überraschender Weise besonders von jungen Menschen. Ich glaube, wir sind die "süssen Alten" - was mich nicht stört, eher amüsiert. Meinen Mann auch.
"...mit einem Aphasiker zusammenzuleben.": Jeder Aphasiker ist anders und ich habe den Eindruck, dass jeder auch eine andere Welt hat. Und einiges hängt, so vermute ich, nicht zwingend mit der Aphasie zusammen. Mein Mann war z.B. früher ein sehr aufmerksamer, empathischer Mensch. Er hat auf andere geachtet und war hilfsbereit. Das war anfangs fast vollständig verschüttet, kam dann sachte nach seinem epileptischen Anfall wieder zum Vorschein und entfaltet sich seitdem in unterschiedlichem Tempo. Ganz der Alte ist er diesbezüglich aber (noch?) nicht. Man merkt ihm aber inzwischen an, dass er selbst merkt wenn er ab und zu irritiert und dass er darüber nachdenkt. Das ist (für mich) ein großer Fortschritt und für uns als Paar wichtig. Denn eines bin ich sicher nicht: die barmherzige Krankenschwester die über Jahre hinweg sich aufopfert. Auch ich brauche ab und zu Aufmerksamkeit/Beachtung/Fürsorge. Besonders von meinem Mann - und das können gerne kleine Gesten sein.
Ich denke, Deine Bekannten werden wieder anders belastet sein als ich, oder die anderen Angehörigen hier die eine(n) Aphasiker zu Hause haben. Die, in der Regel immer auch vorhandenen, kognitiven Einschränkungen/Veränderungen kommen zur fehlenden Sprache einfach erschwerend hinzu. Oder vielmehr die fehlende Sprache ist erschwerend weil man oft gar nicht oder nur mit sehr viel Mühe heraus finden kann was da gerade schief läuft. Der Betroffene kann sich ja nicht artikulieren. Rede und Gegenrede stehen zum Abgleich nicht zur Verfügung. Und ich fürchte, ab und zu tue ich meinem Mann auch unrecht - die Missverständnisse sind einfach vorprogrammiert.
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Amsel« (Heute, 18:08)