Seit einiger Zeit lese ich ab und an mal hier im Forum. Für die vielen Informationen und Tipps, die einem hier präsentiert werden, möchte ich mich deshalb zuerst ein mal recht herzlich bedanken. All das hat mir bisher sehr geholfen. Heute habe ich mich nun entschieden, selbst einen Beitrag hier einzustellen.
Anfang Februar d. J. hatte meine Mutter (76 Jahre alt) einen sehr schweren Schlaganfall. Seither ist sie rechtsseitig gelähmt und leidet unter einer globalen Aphasie. Nachdem sie in der Frühreha zumindest wieder gelernt hat selbstständig zu essen und zu trinken (auch das war zu Anfang nicht möglich, so dass man ihr in dieser Zeit eine Magensonde legen musste), hat sie in der anschließenden Reha kaum noch wirkliche Fortschritte gemacht. Nachdem sie entlassen wurde, lebt sie nun wieder bei meinem 78jährigen Vater, der sie abgöttisch liebt und aufopferungsvoll pflegt. Sie hat Pflegestufe III und so ist es jetzt zumindest finanziell einigermaßen machbar, die Unterstützung des Diakonischen Pflegedienstes, der 3x täglich für die Grundpflege kommt, in Anspruch zu nehmen.
Was mir jedoch große Sorgen bereitet, ist die Tatsache, dass mein Vater (logischerweise) jetzt schon, nach nicht ganz 3 Monaten, komplett fertig ist. Meine Mutter bekommt regelmäßig Physio- und Ergotherapie sowie Logopädie. Geistig ist sie vollkommen fit, kann rechnen, hat die Uhrzeiten im Griff und scheinbar ist ihr sogar das Lesen eingeschränkt möglich. Schreiben und Sprechen funktioniert hingegen nur dann, wenn sie Anleitung hat. Sie spricht fast alles nach, das selbstständige Sprechen jedoch beschränkt sich auf 'Hallo' und 'aber so'. So kann sie sich nur schwer mitteilen, was meinen Vater natürlich noch mehr verzweifeln lässt. Insbesondere wird es für ihn fast unerträglich, wenn sie 'aktiv' am Haushalt bzw. Leben 'teilnimmt', indem sie ihm Anweisung geben möchte, was gemacht werden muss oder worauf er achten soll etc. Das tut sie dann wild gestikulierend mit dem ständigen Wiederholen der Worte 'aber so ... aber so ... aber so'. Versteht er sie dann nicht (was er erstaunlicherweise schon häufig kann), dann verzweifelt sie, wird ungeduldig und/oder beginnt zu weinen.
Die Lähmungen werden ganz ganz langsam ein wenig besser - zumindest spürt sie wohl schon wieder ein wenig. So hat sie inzwischen schon gelernt, nur noch mit wenig Unterstützung in den Rollstuhl zu kommen. Dort will sie jedoch nicht sitzen und so hält sie die von den Therapeuten geforderte Stunde nur mit Jammern aus. Da wir glauben, dass ihr das Sitzen Schmerzen bereitet, hat mein Vater für sie zumindest ein Inkubitus-Kissen besorgt. Aber auch das hilft nicht wirklich, ihren Willen, ein bisschen länger auf dem Stuhl zu bleiben, zu stärken. Nach einer gewissen Zeit ist sie jedes Mal entsetzlich verzweifelt und will unbedingt zurück in ihr Bett. Besuch möchte sie nicht (außer uns). Raus möchte sie nicht (nur nach großer Überredungskunst war es überhaupt möglich, sie dazu zu bringen, mal eine Zeit lang in ihrem geliebten Garten zu sitzen. Mein Vater hat selber eine Rampe gebaut, um sie mit dem Rollstuhl hinaus fahren zu können. Immerhin gibt sie inzwischen 'Anweisungen', was wo mit welchen Pflanzen passieren soll, was zumindest ein Interesse zeigt.
Was besonders schlimm ist: sie hat eine enorme Panik, wenn mein Vater nur kurzzeitig das Haus verlässt (z. B. um einzukaufen). Ich habe mit ihr gesprochen und sie hat Angst, dass ihm etwas zustoßen könnte und er nicht zurück kommt. Nach oft nur ca. 10 - 15 Minuten wird sie jedes Mal absolut panisch und weint. Ich habe ihr gesagt, dass wir für sie da sind, dass sie auf keinen Fall allein gelasen wird ... alles ... aber es hilft nichts. Er geht auch nie, ohne dass jemand bei ihr ist. Dennoch kann ich ihre Angst verstehen, denn so hilflos zu sein, muss ganz beängstigend sein.
Ich muss noch kurz etwas zu unserer familiären Situation sagen. Meine Schwester wohnt oben im Haus meiner Eltern. Sie hat mit mir ein großes Problem und so passt es ihr überhaupt nicht, wenn ich zu häufig da bin. Ich darf nicht hin, wenn sie da ist, und all meine Versuche, mit ihr vernünftig über die Situation zu reden, sind hoffnungslos. Meinen Vater überfordert dieser Zwist logischerweise noch zusätzlich und so sage ich dazu auch nichts mehr. Aus diesem Grund ist es mir auch nur sehr schwer möglich, meinen Eltern die Hilfe zu geben, die sie so dringend bräuchten. Eben rief ich z. B. an und erfuhr von meinem gehetzt und erschöpft klingenden Vater, dass der Keller voll Wasser gelaufen sei und er deshalb keine Zeit hätte. Zudem müsse er kochen und den Gefrierschrank abtauen. Er macht alles allein, das Haus, den Garten, die Pflege (außer das, was die Diakonie leistet). Ein 78jähriger Mann, der mehr leisten muss, als manch junger Mensch. Das wird er einfach auf Dauer nicht schaffen. Jede Hilfe, auch eben bot ich sie wieder an, lehnt er kategorisch ab. Wenn ich ihm rate, eine Selbsthilfegruppe aufzusuchen, meint er, er habe ja keine Zeit dafür. Meine Bitte, etwas für sich zu tun - wenigstens einen Nachmittag in der Woche irgendwas zu machen, was ihm Freude bereitet, kommentiert er mit den Worten: 'Ohne Mama macht mir das keinen Spaß, zumal wenn ich weiß, dass sie solche Angst hat, wenn ich nicht da bin.' Meine Schwester wäscht ihre Wäsche - ja - und sie bleibt wohl auch kurz mal bei meiner Mutter sitzen, wenn mein Vater etwas einkaufen muss, aber soweit ich weiß, passiert an Unterstützung wohl nicht wesentlich mehr. Und ich darf nicht.
Ich bin einfach unglücklich, da ich mich so machtlos fühle. Auch wenn ich es möchte, so kann ich kaum etwas dazu tun, ihnen eine wirkliche Hilfe zu sein. Und ich bin mir fast sicher, dass dieser Zustand dauerhaft kaum tragbar ist. So befürchte ich meinen Vater betreffend, dass auch er irgendwann zusammenbricht.
Leider spricht mein Vater oft mit meiner Mutter, als sei sie ein Kind, obwohl sie geistig voll da ist. Leider hört er auch diesbzgl. nicht auf mich ... bzw. meint er, das wäre nicht so. Andererseits versucht er ständig, mit ihr das Sprechen zu üben. Das ist natürlich auf jeden Fall eine gute Idee, aber ich denke, wenn muss er das nicht so anpacken, als sei er ihr Vater. All das ist für mich enorm schwer zu ertragen. Es ist so unglaublich schön zu sehen, wie voller Liebe mein Vater mit meiner Mutter umgeht. Andererseits steht seine enorme Erschöpfung und seine teilweise Hilflosigkeit im Umgang mit ihr im Gegensatz dazu. Da ich wohl bei ihm immer das nichts wissende Kind sein werde, bin ich auf den Posten des Beobachters verbannt, der kaum wirklich Einfluss nehmen kann.
Wahrscheinlich kann mir in dieser Situation wohl kaum jemand eine Lösung 'präsentieren', das ist mir bewusst. Aber vielleicht hat jemand einen Tipp, wie ich zumindest auf diese Panik meiner Mutter einwirken kann, damit mein Vater auch mal 3 Schritte ohne sie tun kann? Auch ein Ratschlag, wie ich ihr die Angst vorm selbstständigen Sprechen nehmen oder auf meinen Vater einwirken kann, dass er den Umgang mit diesem Problem betreffend, ein wenig einsichtiger wird, wäre schön.
Liebe Grüße
Claudia