Hallo Ronja,
erst einmal: Toll, dass du nach Möglichkeiten und Hilfe für deinen Schwiegervater suchst - find ich Klasse, ist nicht selbstversändlich!
Selbst bin ich nicht betroffen, kann dir nur von Angehörigem zu Angehörigem ein paar Gedanken mitteilen.
Bevor es um deinen Schwiegervater geht: Schaut euch deine Schwiegermama auch genauer an. Kann Sie denn noch mehr leisten? Ist sie fit genug oder nach der langen Zeit auch schon am Rande eines Burn-Outs? Braucht sie vielleicht auch schon Hilfe, Phsychologische Begleitung, Neurologische / Psychiatrische Behandlung, Unterstützung, Entlastung?
Man muss schon aus einem harten Holz geschnitzt sein (oder schnell aushärten), wenn man als 24-Stunden-Partner permanent in der Betrueung und Pflege involviert ist. Behörden, Ämter, Kassen, Arztgespräche - man ist auf einmal und dauerhaft fast alleiniger Ansprechpartner für einen zweiten Menschen, ordnet und organisiert ein zweites Leben. Dazu kommen Ängste, unerfüllte (oft auch unerfüllbare) Hoffnungen, Erwartungen, Hilflosgkeit in vielen Momenten und und und. Ihr ganzes Leben hat sich auch verändert, ihre Pläne für die Zukunft, alles ...
Wo kann sie entlastet werden und vom wem? Kommt sie mal raus? Gibt es Freunde, Familie, Bekannte oder einfach liebe nette Menschen vor Ort, die helfen und ihr etwas abnehmen können? Kann sie mal Urlaub machen, entspannen, sich ablenken? Gibt es Vertretung? Wie steht sie denn zu deinem Schwiegervater? Sieht sie noch Ziele? Hat sie noch Erwartungen? Hat sie vielleicht (auch) schon aufgegeben, resigniert?
Ein starker, gesunder, ausgeglichener, lebensfroher Partner ist ganz wichtig! Da kann eine Menge Motivation auf deinen Schwiegervater übertragen werden.
Es wäre auch für mich unvorstellbar, mich von fremden Menschen pflegen zu lassen - für deinen Schwiegervater war das vorher sicher ganz genau so. Keine Ahnung, wie lange er in der Klinik und den verschiedenen Reha-Phasen stationär betreut wurde - aber das ist eine soooo unendlich lange Zeit, dass Schamgefühle und irgendwelche Befindlichkeiten, die man vorher noch hatte, danach keine Rolle mehr spielen. Daran hat er sich gewöhnt oder abgefunden und es ist keine Motivation in dem Maße, wie sie es für uns wäre. Je nachdem, wieviel er leisten kann, versucht er auch selbst sicher oft, wieder eigentständig zu werden - manchmal geht aber eben nicht mehr und auch das muss man akzeptieren.
"Streng dich doch ein bisschen mehr an, dann wird das schon" aus dem Mund von verschiedenen Bekannten - am besten noch gefolgt von einem lustigen "hast doch jetzt den ganzen Tag Zeit" - hat mir am Anfang immer mal wieder die Kinnlade runter fallen lassen. Aber das sind wohl so Gedanken, die sich als erstes auftunt, wenn man nicht in der Materie drin steckt. Viele wissen nicht, dass es sich anders verhält, als bei einem Unfall mit gebrochenen Knochen, wo nach längerem Klinikaufenthalt eine Reha kommt und "schnell alles wieder gut wird" ...
"Mehr Anstrengen" is eben nich, "mehr Anstrengen" ist ausverkauft...
"Anstrengen" geht los, wenn morgens die Augen aufgehen und endet frühestens Abends im Bett. Das muss man auch als ganz naher Angehöriger erst mal lernen und verstehen, selbst erfahren und damit muss man letztlich auch leben. Nach fordern kommt schnell überfordern, die Schwelle zwischen belasten und überlasten ist ganz, ganz klein - sofern überhaupt vorhanden ...
Nun zu den "Tricks": Es gibt keine. Man kann auch keine herbeiwünschen (hab ich alles versucht, is nich) oder herbei beten (vielleicht hats was gebracht, hab aber keine Rückmeldung von oben bekommen ...).
Trotzdem ein paar Gedanken:
Standard ist wohl überall, dass Schlaganfallpatienten Antidepressiva bekommen. Falls das bei euch nicht so ist, einmal ärztlich abklären lassen, ob sinnvoll und hilfreich. Falls das bei euch so ist, einmal abklären lassen, ob eine Umdosierung oder Wechsel auf ein anderes Medikament etwas bringen kann. (Hat bei uns die Stimmung gehoben, vielleicht sogar Depressionen verhindert). Ebenso alle anderen Medikamente abklären lassen. (Eine leichte Änderung in der Dosierung eines Antiepillepsie-Medikaments hat bei uns zum Beispiel die "Null-Bock"-Stimmung beseitigt).
Wenn Unsicherheiten über die ärztliche Behandlung bestehen > einen anderen Arzt versuchen. Hier gibt es leider die erschreckend demotivierende Bandbreite von "das wird nix mehr" (was eigentlich heisst: puh, das ist mir zu kompliziert, dafür hab ich keine zeit) bis zu hochengagierten und interessierten Ärzten, die sich sehr einsetzen und die eine oder andere "Zeit damit verschwenden". Ebenso verhält es sich mit Therapeuten: Wenn der Therapeut nicht zur Therapie motivieren kann -> wechseln. Auch hier kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass der Wechsel richtig was gebracht hat.
Dann: Ein lebensfrohes Umfeld schaffen (siehe oben).
Eventuelle Isolation beenden, alte Freunde und Bekannte hinzuziehen, welche gut für deinen Schwiegervater sind.
Deinem Schwiegervater auch das Gefühl geben, dass er nicht allein und hängen gelassen wird von der Welt, dass es auch gut so ist, wie es ist, anders als vorher und nie wieder so wie vorher, aber vielleicht besser werden kann, als im Moment.
Vielleicht könnt ihr auch aus 3-4 Besuchen im Jahr sechso oder acht machen? Oder mehr? Und auch länger bleiben, deine Schwiegermutter entlasten? Urlaub in der Nähe machen und jeden Tag da sein? Dann bekommt ihr vielleicht auch einen besseren Einblick und mehr Ideen, wo man ansetzen kann. Ist viel verlangt bei großer Entfernung, aber wenn du hier schon so engagiert fragst ...
Wie gesagt: Es ist toll, dass du dich dafür interessierst und nach Hilfe fragst. Das ist nicht selbstverständlich, auch nicht in der Familie.
Liebe Grüße
Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal bearbeitet, zuletzt von »tron33« (16.02.2017, 18:01)