#1
Avatar

Unbekannt

Gelöscht

Schwiegervater lässt sich gehen

Hallo Zusammen,

 

mein Schwiegervater hatte im Februar 2015, also vor 2 Jahren, einen Schlaganfall. Seitdem hat er Sprachprobleme (er findet die Wörter nicht wirklich), ist halbseitig gelähmt, kann den rechten Arm gar nicht mehr nutzen, lernt seit über einem Jahr wieder laufen, aber irgendwie erkennen wir keinerlei Fortschritte (wir wohnen weit entfernt und sehen ihn 3-4 mal im Jahr). Das Linke Bein ist belastbar, aber er vertraut ihm nicht. Laufen kann er am sogenannten Hirtenstab ein paar Meter.

 

Irgendwie habe ich das Gefühl, meine Schwiegermutter treibt ihn nicht genug an, er hat selbst wenig Wille, etwas außerhalb der 2mal Therapie pro Woche zu tun und er kann noch nicht mal alleine auf Toilette gehen. Ich kann mir so schwer vorstellen, mich von anderen, mir fremden Leuten, waschen zu lassen oder auf Toilette den Hintern abputzen zu lassen. Das muß doch auch gehen, wenn man nur mit der linken Hand etwas machen kann, oder?

Wie kann man einen Menschen dazu bringen, mehr Eigeninitiative zu zeigen und mehr zu trainieren? Der Mann wird am Sonntag 65. Das kann doch nicht schon alles gewesen sein? Habt Ihr auch Euren Mut verloren und wie habt Ihr wieder Mut geschöpft? Gibt es einen Trick?

 

LG
Ronja

#2
Avatar

Unbekannt

Gelöscht

Hallo Ronja,

ich hatte im September 2015 einen 2. Schlaganfall mit Aphasie.

Es ist für die Angehörigen nicht begreifbar, was dabei vorgeht. Unser Hirn ist geschädigt und bestimmt, was, wie viel und wann wir es tun.

Jeder Tag ist anders. Ich bin seit dem 2. Schlaganfall (der erste wurde "übergangen") sehr diszipliniert mit mir umgegangen, bis ich erkannt habe, dass das ständige "Trainieren" und die Disziplin mich total überfordern.

Ich habe das Gefühl, dass Dein Vater schon trainiert, in dem Rahmen, der ihm möglich ist.

DU musst Dir nicht vorstellen, wie sich Dein Vater den Hintern putzt. Mal geht es - mal nicht.

Und antreiben lässt sich niemand vom FAMILIÄREN Umfeld. Vielleicht hast Du selbst Kinder - diese machen genau das, was Du nicht willst.

Mir wurde in der REHA täglich eingetrichtert:

ES ist so.

Und:

ES ist nicht wichtig.

Ich lebe und ich denke nur noch daran, was ich alles kann und nicht mehr daran, was ich alles nicht kann.

LG bonheur, weiblich, 63 Jahre alt, verheiratet

 

#3
Avatar

Unbekannt

Gelöscht

Ein freundliches Hallo �

Da bin ich ganz bei "Bonheur".

Was heisst hier Antreiben, gibt es einen Trick??? Zunächst hat der Mensch "Schwiegervater" einen Hirninfarkt erlebt und überlebt. Die Folgen eines Hirninfarktes sind sehr, sehr unterschiedlich und somit individuell !

Abhängig ist dies von den Regionen, welche im Gehirn betroffen wurden und die Zeitdauer der Sauerstoffunterbrechung bzw. der Blutzirkulation. In der Folge sind unweigerlich einige "Hirnarchivkästen" eingestürzt. Das gesamze Gehirn ist aus dem Takt geraten. Er muss sich quasi neu erfinden. Da bedarf es viel Geduld und Zuversicht aber auch stete leichte Übungen, um Kraft, Fähigkeiten und wieder Selbstvertrauen zu entwickeln. Für einen "Nichtbetroffenenen" ist es unvorstellbar, welchen langwierigen, unendlich mühseligen und kraftzehrenden Kampf es bedeutet, winzig kleine, fast unmerkliche Fortschritte zu erzielen und dabei auf Dauer (wenn mal wieder nix klappt) den Mut und den Lebenswillen nicht zu verlieren.

Wortfindungsschwierigkeiten waren auch bei mir die Folge des Hirninfarktes. Gleichwohl war ich anfangs der Meinung, ich hätte alle Fragen klipp und klar beantwortet. Mich will keiner mehr verstehen. War mir aber auch total egal!! Hatte echt genügend mit mir selber zu tun! Im Kopf drehte sich ja alles, es "schwindelte" so daher! Die Umwelt war für mich "nebulös", ja waschküchenartig! Immer war ich damit beschäftigt "Was ist das?" Dann das "schitt" Taubheitsgefühl, die Sehfeldeinschränkung und und .....! Erst die RehaMaßnahmen, die dortigen Neuropsychologen mit den entsprechenden Therapeuten brachten für mich den "Durchbruch", die Selbsterkennung, das Selbstwertgefühl, das Selbstvertrauen, das Lebensgefühl so langsam retour! Sicherlich werden auch die kognitiven Wahrnehmungsstörungen ihren Anteil daran haben. War Schwiegervater in einer Rehamaßnahme? Ist er in psychotherapeutischer Behandlung?

Diese Maßnahmen folgen in aller Regel als Krankenhausanschlussheilbehandlung/Reha !

Wünsche Schwiegervater von Herzen alle Kraft und Zuversicht, sowie stete Besserung.

Besten Gruß hotte �


Dieser Beitrag wurde bereits 3 mal bearbeitet, zuletzt von »hotte« (16.02.2017, 14:47)
#4
Avatar

Unbekannt

Gelöscht

Hallo Ronja,

erst einmal: Toll, dass du nach Möglichkeiten und Hilfe für deinen Schwiegervater suchst - find ich Klasse, ist nicht selbstversändlich!

Selbst bin ich nicht betroffen, kann dir nur von Angehörigem zu Angehörigem ein paar Gedanken mitteilen.

Bevor es um deinen Schwiegervater geht: Schaut euch deine Schwiegermama auch genauer an. Kann Sie denn noch mehr leisten? Ist sie fit genug oder nach der langen Zeit auch schon am Rande eines Burn-Outs? Braucht sie vielleicht auch schon Hilfe, Phsychologische Begleitung, Neurologische / Psychiatrische Behandlung, Unterstützung, Entlastung?

Man muss schon aus einem harten Holz geschnitzt sein (oder schnell aushärten), wenn man als 24-Stunden-Partner permanent in der Betrueung und Pflege involviert ist. Behörden, Ämter, Kassen, Arztgespräche - man ist auf einmal und dauerhaft fast alleiniger Ansprechpartner für einen zweiten Menschen, ordnet und organisiert ein zweites Leben. Dazu kommen Ängste, unerfüllte (oft auch unerfüllbare) Hoffnungen, Erwartungen, Hilflosgkeit in vielen Momenten und und und. Ihr ganzes Leben hat sich auch verändert, ihre Pläne für die Zukunft, alles ...

Wo kann sie entlastet werden und vom wem? Kommt sie mal raus? Gibt es Freunde, Familie, Bekannte oder einfach liebe nette Menschen vor Ort, die helfen und ihr etwas abnehmen können? Kann sie mal Urlaub machen, entspannen, sich ablenken? Gibt es Vertretung? Wie steht sie denn zu deinem Schwiegervater? Sieht sie noch Ziele? Hat sie noch Erwartungen? Hat sie vielleicht (auch) schon aufgegeben, resigniert?

Ein starker, gesunder, ausgeglichener, lebensfroher Partner ist ganz wichtig! Da kann eine Menge Motivation auf deinen Schwiegervater übertragen werden.

 

Es wäre auch für mich unvorstellbar, mich von fremden Menschen pflegen zu lassen - für deinen Schwiegervater war das vorher sicher ganz genau so. Keine Ahnung, wie lange er in der Klinik und den verschiedenen Reha-Phasen stationär betreut wurde - aber das ist eine soooo unendlich lange Zeit, dass Schamgefühle und irgendwelche Befindlichkeiten, die man vorher noch hatte, danach keine Rolle mehr spielen. Daran hat er sich gewöhnt oder abgefunden und es ist keine Motivation in dem Maße, wie sie es für uns wäre. Je nachdem, wieviel er leisten kann, versucht er auch selbst sicher oft, wieder eigentständig zu werden - manchmal geht aber eben nicht mehr und auch das muss man akzeptieren.

"Streng dich doch ein bisschen mehr an, dann wird das schon" aus dem Mund von verschiedenen Bekannten - am besten noch gefolgt von einem lustigen "hast doch jetzt den ganzen Tag Zeit" - hat mir am Anfang immer mal wieder die Kinnlade runter fallen lassen. Aber das sind wohl so Gedanken, die sich als erstes auftunt, wenn man nicht in der Materie drin steckt. Viele wissen nicht, dass es sich anders verhält, als bei einem Unfall mit gebrochenen Knochen, wo nach längerem Klinikaufenthalt eine Reha kommt und "schnell alles wieder gut wird" ...

"Mehr Anstrengen" is eben nich, "mehr Anstrengen" ist ausverkauft...
"Anstrengen" geht los, wenn morgens die Augen aufgehen und endet frühestens Abends im Bett. Das muss man auch als ganz naher Angehöriger erst mal lernen und verstehen, selbst erfahren und damit muss man letztlich auch leben. Nach fordern kommt schnell überfordern, die Schwelle zwischen belasten und überlasten ist ganz, ganz klein - sofern überhaupt vorhanden ...

 

Nun zu den "Tricks": Es gibt keine. Man kann auch keine herbeiwünschen (hab ich alles versucht, is nich) oder herbei beten (vielleicht hats was gebracht, hab aber keine Rückmeldung von oben bekommen ...).

Trotzdem ein paar Gedanken:

Standard ist wohl überall, dass Schlaganfallpatienten Antidepressiva bekommen. Falls das bei euch nicht so ist, einmal ärztlich abklären lassen, ob sinnvoll und hilfreich. Falls das bei euch so ist, einmal abklären lassen, ob eine Umdosierung oder Wechsel auf ein anderes Medikament etwas bringen kann. (Hat bei uns die Stimmung gehoben, vielleicht sogar Depressionen verhindert). Ebenso alle anderen Medikamente abklären lassen. (Eine leichte Änderung in der Dosierung eines Antiepillepsie-Medikaments hat bei uns zum Beispiel die "Null-Bock"-Stimmung beseitigt).

Wenn Unsicherheiten über die ärztliche Behandlung bestehen > einen anderen Arzt versuchen. Hier gibt es leider die erschreckend demotivierende Bandbreite von "das wird nix mehr" (was eigentlich heisst: puh, das ist mir zu kompliziert, dafür hab ich keine zeit) bis zu hochengagierten und interessierten Ärzten, die sich sehr einsetzen und die eine oder andere "Zeit damit verschwenden". Ebenso verhält es sich mit Therapeuten: Wenn der Therapeut nicht zur Therapie motivieren kann -> wechseln. Auch hier kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass der Wechsel richtig was gebracht hat.

 

Dann: Ein lebensfrohes Umfeld schaffen (siehe oben).

Eventuelle Isolation beenden, alte Freunde und Bekannte hinzuziehen, welche gut für deinen Schwiegervater sind.

Deinem Schwiegervater auch das Gefühl geben, dass er nicht allein und hängen gelassen wird von der Welt, dass es auch gut so ist, wie es ist, anders als vorher und nie wieder so wie vorher, aber vielleicht besser werden kann, als im Moment.

Vielleicht könnt ihr auch aus 3-4 Besuchen im Jahr sechso oder acht machen? Oder mehr? Und auch länger bleiben, deine Schwiegermutter entlasten? Urlaub in der Nähe machen und jeden Tag da sein? 🙂 Dann bekommt ihr vielleicht auch einen besseren Einblick und mehr Ideen, wo man ansetzen kann. Ist viel verlangt bei großer Entfernung, aber wenn du hier schon so engagiert fragst ... 🙂

Wie gesagt: Es ist toll, dass du dich dafür interessierst und nach Hilfe fragst. Das ist nicht selbstverständlich, auch nicht in der Familie.

 

Liebe Grüße

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal bearbeitet, zuletzt von »tron33« (16.02.2017, 18:01)
#5
Avatar

Unbekannt

Gelöscht

Hallo Zusammen,

ich danke Euch für Euren ehrlichen Worte und den Einblick, der uns gänzlich scheinbar relativ fremd ist, da der Schwiegervater sich nicht wirklich ausdrücken kann. Daher ist auch eine psychologische Behandlung ausgeschlossen, leider.

Nach dem Schlaganfall im Februar 2015 war der Vater bis einschließlich August 2015 in Reha. Seitdem geht er 2mal pro Woche zur Logopädie, Ergotherapie und Physiotherapie. Er schläft jeden Mittag von 11.30 - 15 Uhr, hängt vor dem TV und macht sonst nichts. Jeden Morgen und jeden Abend kommt die Pflege und versorgt ihn. Aufgabe der Mutter ist es, mit ihm zur Toilette zu gehen, ihn mittags ins Bett zu bringen und wieder aufzuholen . . . .

Zu der Mutter möchte ich sagen, sie befand sich schon vorher in einem nicht so guten psychischen Zustand und ist deswegen in Behandlung, was die Sache nicht leichter macht. Ihr Tag sieht wie folgt aus: sie steht auf, wenn die Pflege kommt, das ist gegen 8.30 Uhr. Nach der Pflege wird gemeinsam gefrühstückt. Dann macht sie Behördengänge (die nicht nötig sind, das haben wir ihr auch schon gesagt), schreibt EMails oder Briefe, macht ein bischen Haushalt, abends macht sie Abendessen. Wir wissen nicht, wieviel Aufwand das alles ist, haben ihr aber schon mehrfach gesagt, dass sie ihren Tag besser strukturieren muß, damit sie auch Zeit für sich hat. aber dazu hat sie keine Lust. sie lebt lieber in den Tag hinein und stresst sich damit nur mehr.

Wir leben 750 km entfernt und können nicht öfter als 3-4 mal im Jahr dorthin. Es kostet viel Geld und wir haben beide einen anstrengenden Job und benötigen hier und da auch Urlaub, um uns zu erholen. Zudem bin ich auch nicht ganz gesund. WIr tun das, was uns möglich ist. Ich habe auch schon viel für sie rumtelefoniert, Angebote eingeholt, etc.

Sie nutzt die Pflegestelle auch, wenn sie Erledigungen machen muß, die kommen dann stundenweise vorbei. Und zum Thema Freunde. . . . Freunde sind da, solange es einem gut geht. Kommen Probleme, sind sie auf einmal weg. Wir haben auch schon den Vorschlag gemacht, dass sie sich mehr in unsere Richtung orientieren sollen, damit wir mehr helfen können und sie auch öfter besuchen können. Aber das sagt sie klipp und klar: hier haben wir unsere Freunde (die wie gesagt nur da sind, wenn keiner HIlfe braucht). Also ihre Entscheidung.

 

Wenn Ihr sagt, wie das beim Vater im Kopf eigentnlich aussieht, dann kann ich das jetzt besser nachvollziehen. Dennoch fehlt mir der Wille, denn außer dem 2mal pro Woche Reha macht er NICHTS. Ich habe schon Berichte von Schlaganfallpatienten gelesen, die da weitaus mehr Biss hatten.

 

Manchmal habe ich das Gefühl, wir machen Vorschläge, aber die werden in keinster WEise angenommen. Sie weiß und kann doch immer alles besser. Ich telefoniere mich von Pontius zu Pilatus und gebe ihr alle Infos, damit sie danach das gleiche tut. Ich habe so das Gefühl, sie will sich gar nicht helfen lassen, obwohl sie immer nach Hilfe ruft . . . . Es ist eine sehr schwere Situation für uns, weil sie uns auch gerne psychisch unter Druck setzt, ob bewusst, oder unbewusst, sei mal dahingestellt.

 

Das wollte ich noch zu der Gesamtsituation sagen.

 

Liebe Grüße

Ronja

#6
Avatar

Unbekannt

Gelöscht

Hallo Ronja,

schönen Dank für Deine erläuternden Zeilen. In der von Dir geschilderten Situation befinden leider eine Vielzahl von Schlaganfallbetroffenen sowie deren Angehörige. Der Betroffene nimmt u.U. die menschliche Situation, welche sich im familiären Umfeld abspielt kaum wahr. Warum; Aufgrund der, durch den Hirninfarkt ausgelösten kognitiven Wahrnehmungs-, Sensibilitätsstörung ist die Empfingsfähigkeit, die Sensualität enorm eingeschräkt. Der Betroffene ist voll und ganz mit sich selbst beschäftig. Wenn er stundenlang eine TV Sendung betrachtet und Du fragst ihn kurz danach, was er im TV gesehen hat, würde er vermutlich nichts sagen, oder weiß ich nicht mehr. Die Stunden, die Tage laufen so peu a peu dahin. Sicherlich, jeder Fall ist anders. Ich spreche hier von mir und meinen Erfahrungen. Als damals Fußballweltmeisterschaft in Mexico 2010 war schaute ich gebannt auf den neuen großen Flatbildschirm bei mir in der TV Ecke. Wer da genau spielte weiß der Kuckuck?? Ich weiß nur, wenn plötzlich die Fuzilla-Tröte ertönte, erschrak ich aus meinem "Dösen" für kurze Zeit. Obwohl ich sicherlich für Außenstehende total interessiert auf den Bildschirm schaute, ging an mir alles, aber auch alles vorbei. War natürlich anschließend Müde und kroch auf`s Sofa. Ja, als Betroffener ist man anfangs gefangen in seine eigene Welt. Hätte ich vor meinem Schlag, nicht gedacht, dass ich so werde.

Noch etwas; Es ist total begrüßenswert und menschlich schwer in Ordnung, wie Du dich für Schwiegereltern einsetzt. Aber bitte, achte auch auf Dich. Auch Du hast nur ein Leben. Diese Entfernung ist stressig und nervend. Wünsche Dir von Herzen alle Kraft dieser Welt.

Gruß hotte �


Dieser Beitrag wurde bereits 2 mal bearbeitet, zuletzt von »hotte« (17.02.2017, 14:42)
#7
Avatar

Unbekannt

Gelöscht

Noch etwas; Es ist total begrüßenswert und menschlich schwer in Ordnung, wie Du dich für Schwiegereltern einsetzt. Aber bitte, achte auch auf Dich. Auch Du hast nur ein Leben. Diese Entfernung ist stressig und nervend. Wünsche Dir von Herzen alle Kraft dieser Welt.

Gruß hotte �

 
Hallo Hotte, ich danke Dir für Deine offenen Worte. Die Situation ist in der Tat nicht einfach und auch belastend. Einerseits ist man genervt, weil die Schwiegermutter keine Hilfe annimmt, aber auf höchstem Niveau jammert, dann ist da der Schwiegervater, der mal ein so wissbegieriger aktiver Mann war und dann ist da unsere Hilflosigkeit aufgrund der Entfernung. Seit Wochen schon wieder bekomme ich "Bauchweh" wenn ich daran denke, dass wir wieder dorthin müssen und 4 Tage diese für uns fürchterliche Situation erleben. Wenn ich da bin, versuche ich so normal wie möglich damit umzugehen. Aber auch das ist anstrengend.

Dank Euch kann ich aber versuchen, das Ganze ein wenig anders zu sehen. Ich hoffe, ich kann es lernen und dann wird es auch für mich und meinen Partner erträglicher, als sich ständig zu fragen, wieso ist er so, wieso will er nicht. . . .

Danke Hotte.

Grüße
Ronja

#8
Avatar

Unbekannt

Gelöscht

Hallo Ronja,

klar, es gibt viele Berichte von Schlaganfallbetroffenen, bei denen es fix wieder begrauf ging, die von ihrem festen Willen berichten und ihren Erfolgen. Du kannst viele tolle und motivierende Bücher darüber kaufen. Aber jede Geschichte ist und bleibt nunmal ein Einzelfall, ein Einzelfall, aus dem sich so gut wie gar nichts (außer ein wenig Hoffnung) ableiten läßt für einen anderen Einzelfall. Klammere dich nicht daran.

Genauso verhält es sich mit sämtlichen Studien. Drei Studien sagen aus, dass das Krankheitsbild sich im Verlauf verschlechtert, zwei Studien berichten über Verbesserungen, aber nur im Alter von bis -> erst wenn man aufwändig prüft, wie diese Studien entstanden sind, welche Ziele diese hatten und an welchen Patienten sie in welchem Land ausgeführt wurden, nimmt man auch davon nur noch einen Bruchteil ernst.

Von außen betrachtet ist man schnell bei "Das muss doch gehen - dort und dort, bei dem und dem gings doch auch". Unendlich viele Leute haben mir immer und immer wieder Beispiele von Schlaganfallbetroffenen erzählt, die doch nach einem Jahr wieder arbeiten gehen. Jeder kennt irgendwie "einen" bei dem's schnell wieder gut war. Kannst du dir ungefähr vorstellen, wie das nervt, wenn jemand aus seiner heilen Welt zum Kaffekränzchen vorbei kommt, was von schneller Heilung faselt, von so vielen tollen Beispielen und dann wieder abdampft in seine heile Welt? Man kann die Leute nicht vor den Kopf stoßen und viele sind vielleicht auch mit der Thematik überfordert oder können sich grundsätzlich nicht in andere hinein versetzen.

Insofern kann ich deine Schwiegermutter verstehen, wenn Sie deine Vorschläge nicht annimmt. Mit den sich immer und immer wiederholenden, sicher gut gemeinten Ratschlägen anderer, die wirklich nur kurzen, oberflächlichen oder überhaupt gar keinen Einblick haben, meist nichtmal Kenntnis von einem der vielen verschiedenen Krankheitsbilder haben, könnte ich inzwischen Bücher füllen. Nett und freundlich wie ich bin habe ich das immer lächelnd weggenickt - links rein, rechts raus. Jetzt fällt mir auf: Ob die wohl auch von mir denken "Der macht ja nix von dem, was man ihm erzählt"?

Das wird sicher so sein und vielleicht beruht auch bei euch das Missverständnis auf einem ähnlichen Umstand. Vielleicht hat deine Schwiegermutter all das schon irgendwann, gefühlte Lichtjahre vorher versucht, hat gefühlte Lichtjahre vorher schon diese Gedanken und Ideen versucht umzusetzen? Hat gefühlte Lichtjahre vorher schon die eine oder andere Hoffnung begraben müssen? Oder schon verworfen, weil es nichts bringt, nicht funktioniert oder wie auch immer.

 

Schlaganfallbetroffene vereinen viele Krankheitsbilder in einer Person. Vieles davon nimmt man von außen gar nicht wahr, es fällt nicht so auf. Viele kleine Krankheisbilder werden teilweise auch gar nicht in der Diagnostik aufgeführt, weil sie hinter den großen Themen sehr nachrangig sind. Wir sehen von außen häufig nur wenig, nur die Bewegungsprobleme und denken schnell, dass man das fix in den Griff bekommt.

Man muss sich als Außenstehender bloß mal in das gesamte Aphasie-Thema eindenken. Das alleine ist so komplex und vielschichtig - nicht auszudenken, was das aus mir machen würde. Ich bewundere alle, die bei so schweren Problemen, so abgeschnitten von allem, von einem Moment auf den anderen zu einer vorkindlichen Hilflosigkeit verdammt, noch Lebensmut haben! Ich kann auch alle gut verstehen, bei denen dieser Lebensmut abhanden kommt - mir würde es in dieser Situation nicht anders gehen.

Wenn ihr verstehen wollt, was da vor sich geht und wieviele Schwierigkeiten auf dem Weg vom Gedanken bis zum Laut aus dem Mund so bestehen können, dann kann ich euch ein tolles Buch empfehlen:

Das Schweigen verstehen Über Aphasie
https://www.amazon.de/gp/product/3642129188

Es ist allerings nicht gerade billig, aber sollte in jeder Bibliothek (sicher in jeder Unibibliothek) verfügbar oder bestellbar sein. Wenn ihr euch da eingelesen habt, habt ihr eine völlig andere Sichtweise auf die Probleme eines Aphasikers, versteht besser, was alleine das aus einem machen kann und werdet voller Freude jedes ansatzweise richtiges Wort mit einem Blumenstrauß begrüßen wollen ...

 

Zu den Therapien: Er fährt dort hin? Wird gebracht? Vom Fahrdienst oder von deiner Schwiegermutter?

Warum kommen die nicht zu deinem Schiegervater nach Hause?

Unbedingt mal mit dem Arzt / Therapeuten / Kasse abklären, normalerweise geht das als Hausbesuch.

 

Und: Betrachtet die Situation vielleicht mit etwas mehr Abstand, aus der Distanz, eher sachlicher, weniger emotional. Wie bei Google Maps: Je weiter man raus zoomt, desto größer wird der Überblick, Details verschwinden und der Blick wird frei für das Wesentliche. Dann erkennt ihr vielleicht auch besser, wo ihr geeignet helfen könnt, ganz ohne euch unter Druck setzen zu lassen.

Liebe Grüße

#9
Avatar

Unbekannt

Gelöscht

Hallo Tron,

auch Dir vielen Dank für Deine Zeit und Deine Worte.
Zu der SchwieMu möchte ich nur sagen: selbst ein eingermaßen strukturierter Tagesablauf könnte sie dennoch weiterbringen, für sich persönlich.
Der SchwieVa wird abgeholt. Auch das habe ich ihr schon vorgeschlagen, aber das Klinikum, wo er zur Therapie fährt, kommt nicht nach Hause und wechseln will sie nicht, warum auch immer. Das meine ich ja: alle Vorschläge werden abgelehnt.

Pflegst Du Deinen Mann? Bei Dir war es doch der Mann, oder?

Grüße
Jeannine

#10
Avatar

Unbekannt

Gelöscht

Ein freundliches Miteinander �

obwohl die, diesem Thread zu Grunde liegende Stuation eine tief traurige ist, habe ich dennoch über die Zeilen von "Tron" etwas lächeln müssen. "Jeder kennt irgendwie "einen" bei dem's schnell wieder gut war. Kannst du dir ungefähr vorstellen, wie das nervt, wenn jemand aus seiner heilen Welt zum Kaffekränzchen vorbei kommt, was ........" Ja, genau dieser Situation kenne. Ja, das nervt, vielmehr vergräzte mich innerlich. Hotte du kannst dies und jenes doch wieder. Der und die ist viel schlimmer dran. boooh! �

Doch welche Kraft, welche Mühen, welche Energie waren nötig und noch immer sind, um aus dem tiefen Keller sich hervorzukämpfen, weiß keiner "von denen aus der heilen Welt". Aber es lohnt sich zu kämpfen.

Wünsche allen Betroffenen stete Besserung. Gruß hotte �

784 Aufrufe | 10 Beiträge